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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Hochverrat. Ribbentrops Sekretär hat es mir unterschrieben.«
    »Man wird sehen, Herr Generaldirektor.«
    Zu Karls Verwunderung schien Kassner nicht mehr der alte zu sein. Er tat seine Arbeit und agitierte nicht mehr. Lilo und Klempert hielten ein wachsames Auge auf ihn. Er redete mit kaum jemandem im Haus. Ab und zu ging er zu Stanner in die Druckerei oder zu der Plinz in die Telefonzentrale. Im Weinkeller ließ er sich nie blicken. Karl blieb skeptisch.
    »Vielleicht ist ihm ein Licht aufgegangen, als der Kaiserhof zerstört wurde. Es soll Stunden gedauert haben, bis die Räumtrupps sich zu den Notausgängen vorbuddeln konnten«, hatte Lilo gemutmaßt.
    »Er hatte an dem Tag frei«, hatte Klempert eingeworfen.
    »Ich glaube nicht an seine Läuterung«, hatte Karl gesagt. »Er riskiert vermutlich keine dicke Lippe mehr, weil er in gewissen Kreisen zur persona non grata geworden ist. Vera hat Doris getroffen – ihr wißt schon, die mit dem unehelichen Kind vom B. v. B. Kassner hat gewissem Herrn ja noch andere Damen zugeführt. Das war ein zweischneidiges Wissen geworden, nachdem Hitler sich als Schlichter in die Goebbelssche Ehekrise eingeschaltet hatte.«
    »Ich erinnere mich an das Foto in der Morgenpost . Hitler, Joseph und Magda. Nur Hitler hat gelächelt. Danach war’s aus und vorbei mit den Filmsternchen für Joseph.«
    »Warum macht sich dann noch Randhuber für ihn stark?« hatte Lilo gefragt. »Er begrüßt ihn stets wie einen alten Kameraden.«
    »Na, das wiederum liegt doch auf der Hand«, hatte Klempert geantwortet. »Randhuber ist Ribbentrops Mann. Ribbentrop und Goebbels: Das ist wie Hund und Katze.«
    Veras Brief kam überraschend schnell. Sie war nicht mehr in Kopenhagen, sondern bereits in Århus. Sie schrieb: »Allem Anschein nach soll es von hier aus nach Norwegen gehen. Tingeltangel für Landser mit Polarkreiskoller.«
    Über Berlin schien seit Tagen die Sonne. Mit dem Wetterwechsel kamen die Fernbomber wieder. Nachts die Briten, tagsüber die Amerikaner. Sie kamen pausenlos. Karl schlief kaum noch in seiner Wohnung und auch selten in dem kleinen Raum hinter Obiers Büro. Das Leben im Adlon wurde mehr und mehr zu einem Leben im Adlon -Bunker.
    Hamburg war schwer zerstört worden. Fliegende Festungen hatten mit Phosphorbomben ein Inferno ungekannten Ausmaßes entfacht. Hitler versprach Rache und Geheimwaffen. Gab es sie, diese ominösen Wunderwaffen, so entlasteten sie Berlin nicht. Die Hauptstadt erbebte unter bis zu siebzehn Angriffswellen pro Tag. Besonders wenn Hitler- oder Goebbelsreden im Rundfunk angekündigt wurden, wußten die Berliner, daß es Zeit war, wieder die Keller aufzusuchen. Pünktlich mit Sendebeginn trafen die Bomber ein.
    Nordafrika war verloren, die Alliierten hatten Sizilien genommen, waren auf dem Weg nach Rom. Im Osten sah es schlimm aus. Obier war dorthin in Marsch gesetzt worden, irgendwo in den Raum Smolensk. Der Name der Stadt fiel ständig in den »Sondermeldungen«.
    Küchenchef Fliegenwald hatte, die mahnende Hausmitteilung ignorierend, vom jour fixe Schweinebraten abgezweigt. Pro Personalessen lagen zwar nur zwei hauchdünne Scheiben auf dem Teller, aber immerhin!
    Klempert faltete das 12-Uhr-Blatt zusammen. »Sooft ich eine Zeitung aufschlage, erringen wir neue Siege!« Er schüttelte den Kopf. »Dabei sind das eindeutig Rückzugsgefechte. Man braucht bloß einen x-beliebigen Atlas aufzuschlagen, dann weiß doch jeder, was los ist.«
    »Begradigung der Frontlinien klingt auch besser als Zurücklegung der Truppen.« Karl las den Stürmer und beobachtete dabei Kassner aus dem Augenwinkel.
    Kassner ließ sich nicht anmerken, ob er zugehört hatte. Er hielt sich aus allen politischen Diskussionen heraus. Im Kuriersaal saß er bei den Mahlzeiten für sich oder mit dem Bunkerwart an einem Ecktisch. Stanner war der letzte aus seiner Naziriege, der noch im Hotel tätig war. Die anderen kämpften und fielen für Führer und Vaterland. Die meisten männlichen Zivilisten, die das Adlon im wehrpflichtigen Alter sah, waren Burmeisters Leute oder ausländische Hotelgäste. Sie kamen weiterhin, trotz Bombenhagels, trotz teils abenteuerlichster Anreise: der Geschäftsmann aus Madrid, der Bankier aus Portugal, der schwedische Gleitlagerkonzerndirektor. Randhuber war dann stets zur Stelle.
    Kassner und Stanner verließen gemeinsam den Kuriersaal.
    Karl bat Klempert um das 12-Uhr-Blatt , steckte es mit dem Stürmer in die Aktentasche. »Ich muß in der Florastraße nach dem

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