Unter den Linden Nummer Eins
getrennt. Karl würde zwei Zimmer mit Balkon und Bad im gutbürgerlichen Pankow haben, Vera bewohnte ein Zimmer bei ihren Eltern in Reinickendorf.
»Reinickendorf stimmt aber nur halb. Wir sind Laubenpieper, und unser Grundstück ist ein Eckgrundstück. Wir halten sogar Hühner und Kaninchen. Eine Gartentür geht zur Kühnemannstraße, und das ist der Renommiereingang, wenn du so willst – und natürlich die Postadresse, weil Reinickendorf besser klingt. Die andere Tür ist auf der Koloniestraße, und da ist roter, roter Wedding.«
Der Kaffee wurde gebracht. »Du auch einen?«
Vera schüttelte den Kopf. »Zucker?« Sie fischte mit einer Zuckerzange einen Würfel aus der Schale und ließ ihn in Karls Kaffee gleiten.
»Danke, einer reicht.« Karl rührte langsam in seiner Tasse. Er kannte die Kleingartengebiete hinter dem Panke-Flüßchen. Es war ein grüner Teil vom Wedding. Die SA holte sich regelmäßig blutige Köpfe, wenn sie dort provokativ anmarschierte.
»Was machen deine Eltern?«
»Mutter ist Hausfrau und Vater hat einen Zeitungsstand am S-Bahnhof Pankow-Nord.«
»Und deine Geschwister?«
»Die älteren sind alle verheiratet. Breslau, Usedom, Leipzig. Außer mir wohnt jetzt nur noch mein kleiner Bruder zu Hause. Er hat zum Glück endlich wieder Arbeit. Eine Baustelle in Kreuzberg.«
»Als was?«
»Du fragst aber komisch, Karl.«
»Interessiert mich eben. Bevor ich die Stelle im Adlon gekriegt habe, habe ich mich mit allem Möglichen durchgeschlagen. Einmal habe ich vierzehn Tage lang Sand und Ziegelsteine gefahren. Den Führerschein für LKW hatte mir der Kaiser noch spendiert. War eigentlich keine schlechte Arbeit, aber leider ging die Firma pleite.«
»Hans hat Maurer gelernt. Und wenn er arbeitslos ist, was die meiste Zeit der Fall war, hilft er dem Vater beim Kiosk.«
Karl winkte dem Kellner, machte ihm ein Zeichen, die Rechnung zu bringen. »Ich muß jetzt los, Vera.«
Vera nickte. »Ich auch. Wir wollen eine neue Bodennummer einüben.«
Karl half ihr in den Mantel. »Seh ich dich wieder?« Sie gab ihm einen Kuß. »Natürlich, Dummerchen. Spätestens, wenn du dir mit Benno wieder die Glieder verrenkst.«
»Also am Dienstag!«
»Dienstag, Karl, falls bei uns nichts dazwischenkommt.«
»Was da sein könnte?«
»Na, hoffentlich ein Engagement mit fetter Gage im Oriental !«
»Ich drück euch die Daumen, daß es klappt.«
»Drück mich lieber jetzt richtig.«
Karl pfiff eine Melodie, als er in den Kuriersaal trat. »Ist was?« Oberpage Mandelbaum blinzelte über den Brillenrand und schraubte das Tintenfaß zu.
»Nichts Besonderes, halt ein schöner Tag.«
Dicke Regentropfen klatschten gegen die Saalfenster.
»Na, ich weiß nicht so recht.« Mandelbaum drückte ein Blatt Löschpapier auf den Pagendienstplan. »Meiner war jedenfalls beschissen.«
»Weswegen?«
»Weswegen schon! Kassner intrigiert gegen mich, wo er nur kann. Angeblich verborge ich Geld gegen Wucherzinsen an die Pagen.«
»Wie bitte?«
»Ja! Er quatscht es überall herum. Sogar dein Kollege hat mich gefragt, ob das stimmen würde!« Mandelbaum ballte die Fäuste. »Es kommt noch schlimmer, obwohl er da nur vage Andeutungen gemacht hat. Ich soll es laut Kassner immer so einrichten, daß ich mit dem Nachtpagen allein im Kuriersaal bin. Mensch, Karl! Ich bin doch nicht verrückt und mach hier im Haus mit jemandem rum!«
Daß Erwin homosexuell war, wußte Karl. Er hatte nichts gegen Schwule. Auch sein Partner Jonny in Malta zog Herrenbekanntschaften dem weiblichen Geschlecht vor.
»Du hast natürlich auch etwas von seiner Giftbrühe abbekommen. Über dich verbreitet er, daß du eine Art Zuhälter bist.«
Karl öffnete seinen Garderobenschrank in Zeitlupe. »Treibst dich in teuren Nachtbars herum, die du dir von deinem Adlon -Gehalt eigentlich gar nicht leisten könntest.«
Karl stellte die Aktentasche in den Garderobenschrank, entnahm ihr sein Notizbuch und schloß den Schrank. »Diese Sau!«
»Außerdem ist ein anderer Nazi Kellermeisterassistent geworden. Sein Spezi Fretzel aus der Buchhaltung, du kennst ihn. Er hat oft unten bei ihm gehockt. Die SA muß also nicht um Schampus-Nachschub bangen.«
Das Schrankschloß wollte nicht einrasten, Karl rüttelte vorsichtig am Schlüssel. »Was?«
»Ja, du hast richtig gehört. Kassner steuert seine Schiebergeschäfte jetzt aus dem Hintergrund durch Fretzel, und du läßt dich von Damen des horizontalen Gewerbes aushalten und verkehrst in unreputierlichen
Weitere Kostenlose Bücher