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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Mai. Karl blieb, trotz des vom Reichskanzler Brüning verhängten SA- und SS-Verbots, skeptisch. Das Arbeitslosenheer zählte Millionen, und die geschickte Propaganda der Nazis schaffte es, die Massen wie nie zuvor zu mobilisieren. Die braunen Schatten wurden länger.
    Holtsen pendelte hektisch zwischen Schweden und Deutschland und stieg manchmal bloß für ein paar Stunden im Adlon ab. Er traf sich mit Politikern, Wirtschaftsführern und vermehrt mit einflußreichen Leuten aus Hitlers Hofstaat. Randhuber war dann meistens bei den nächtlichen Gelagen in der Adlon -Bar mit von der Partie. Immer häufiger auch dinierten Ernst Udet und Holtsen, begleitet von Vertretern der Luftfahrtindustrie und Reichswehroffizieren in Zivil, in diversen Séparées mit Blick auf die Linden.
    Der dicke Schwede forderte Karl wiederholt als Fahrer an. »Die Gesellschaft holen wir nach, mein lieber Meunier. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Hitler macht das Rennen schon. Die Wirtschaftsführer, mit denen ich neulich konferierte, erhoffen sich positive Impulse von einer starken nationalsozialistischen Politik.«
    Karl äußerte sich nicht dazu und konzentrierte sich auf den Verkehr. Randhuber hatte zu einem Vortrag im Berliner Norden eingeladen. Holtsen schenkte der vorbeigleitenden Stadt keinen Blick. Die Sichtrollos der Fondfenster waren herabgelassen. Er blätterte in schlanken Aktenordnern, die ihm Tron-Herman mit gemurmelten Erklärungen reichte. Hin und wieder deutete der Sekretär auf ein Schriftstück, und Holtsen leistete eine Unterschrift.
    In der Jungfernheide überholte sie ein fast identischer Mercedes. Karl erkannte Ernst Udet auf dem Beifahrersitz.
    Die Tegeler Villa mit der bombastischen Freitreppe gehörte einem Mitglied des Reichsverbandes der Luftfahrtindustrie, der mit der NSDAP sympathisierte und sein Haus für diese Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatte, da in der Innenstadt Störaktionen der Sozialisten oder Kommunisten zu befürchten waren.
    Karl lenkte den Mercedes aus dem Adlon -Fuhrpark auf einem vornehm knirschenden Kiesweg vor die Freitreppe. Udets Wagen war nirgendwo zu sehen.
    Ein athletischer Jüngling trat an den Wagen. Er trug einen grauen Flanellanzug wie eine unbequeme Verkleidung. Das Uniformverbot des Reichspräsidenten für SA und SS begann doch Wirkung zu zeigen, stellte Karl mit Befriedigung fest.
    »Direktor Holtsen aus Schweden«, sagte Karl.
    Der Jüngling verglich den Namen, den Karl genannt hatte, mit den Eintragungen auf einer Liste. »Herr Doktor Randhuber heißt Sie im Namen des Reichsbunds der deutschen Luftfahrtindustrie auf das herzlichste willkommen. Sie können den Wagen gleich hinter der Villa parken, der Platz ist von außen nicht einsehbar. Aus Sicherheitsgründen werden Sie auch gebeten, den dortigen Seiteneingang zu benutzen. Ein Hausdiener wird Sie erwarten und in den Vortragssaal geleiten.« Es klang gequält, so als hätte er seinen Spruch mit viel Mühe auswendig gelernt. Die Jackentasche war von einem schweren, kompakten Gegenstand ausgebeult. Karl tippte auf einen kurzläufigen Revolver.
    Er bugsierte den Wagen zwischen Udets Mercedes und die Grundstücksmauer. Kein Hausdiener, Randhuber höchstpersönlich erwartete sie. Er zertrat seine Zigarette und eilte auf Holtsen zu. »Herzlich willkommen, verehrter Herr Direktor! Doktor Goebbels ist bereits eingetroffen. Er nimmt noch gerade eine Erfrischung zu sich. Wir alle sind auf seine Rede sehr gespannt.« Er erkannte Karl und zog ihn zur Seite. »Bitte kümmern Sie sich während des Vortrags um den Sekretär von Direktor Holtsen. Nehmen Sie ihn mit in die Küche, dort steht ein Imbiß für die Chauffeure bereit. Da ist der Küchentrakt.« Randhuber zeigte auf einen flachen Anbau. Vor der Tür mit der Aufschrift Lieferanten stand ein weiterer Jüngling mit ausgebeulter Jackentasche. »Wenn ich jetzt bitten dürfte …« Randhuber und Holtsen verschwanden im Seiteneingang der Villa.
    Tron-Herman lockerte seinen Krawattenknoten. »Ein gutes deutsches Bier und ein Hackepeterbrötchen wären jetzt genau das richtige, Herr Meunier. Oder serviert man in diesen Kreisen ausschließlich Kamillentee und Sesamkringel? Herr Hitler soll ja nicht bloß Vegetarier, sondern auch ein Alkoholgegner sein.«
    »Ich werde probieren, was ich für Sie tun kann. Wenn Herr Doktor Randhuber das hier organisiert hat, dann wird es vermutlich an geistigen Getränken nicht mangeln.«
    Tron-Herman bekam sein Bier, Karl trank ein Glas Limonade. Aus der

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