Unter den Linden Nummer Eins
ihren Oberkörper dem Nachtklubbesitzer zu und breitete die Arme aus. »Oder wie siamesische Tempeltänzerinnen.« Sie legte die Handflächen über dem Busen aneinander und neigte den Kopf. Die Fingerspitzen berührten das Kinn.
»Äh, vortrefflich«, sagte Ruella. »Wo kann ich mir die Nummer einmal ansehen?«
Vera schrieb die Adresse des Übungskellers auf das Blatt mit den Strichmännchen.
Ein Kellner brachte den Sekt und reichte seinem Chef eine Visitenkarte.
»Bitte entschuldigen Sie mich und genießen Sie den Rest des Abends im Oriental . Sie, Fräulein Vendura, hören garantiert demnächst von mir. Und Sie, mein Herr, überbringen Sie bitte Ihrer Frau Generaldirektor die besten Grüße. Ich hoffe, Madame Adlon beehrt uns gelegentlich wieder. – Aber jetzt muß ich Sie wirklich verlassen. – Ein alter Stammgast wurde mir soeben angekündigt. Sie verstehen!« Immerhin fand er noch Zeit für einen innigen Handkuß.
»Was glauben Sie, Herr Karl, bekommen wir Venduras hier ein Engagement?«
»Sie haben Ihre Sache gut vorgetragen.«
»Das denke ich auch.« Vera räkelte sich wohlig. »Es fehlt einfach eine Akrobatikeinlage im Programm.«
»Ja, das wird es gewesen sein«, sagte Karl. Die meisten der männlichen Gäste um sie herum fanden die verschiedensten Gründe, um in ihre Richtung zu schauen. Mal wurde ein Feuerzeug vom Tisch geschoben, mal die Freundin oder Ehefrau auf ein Raumausstattungsdetail in ihrer Nähe hingewiesen. Karl genoß es immens.
Plötzlich erstarrte er, und seine Augen verengten sich.
Der Nachtklubbesitzer geleitete zwei Gäste an einen Wandtisch: einen Riesen von einem Mann, der von einer Person begleitet wurde, die Karl am liebsten auf den Mond gewünscht hätte.
»Ist was, Herr Karl?« Vera war Karls Anspannung nicht entgangen.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne das Lokal wechseln.«
Sie verfolgte Karls Blick. »Die beiden?«
»Ja«, sagte Karl und schaute angewidert zu dem Wandtisch. »Nicht der Dicke. Der andere. Ich erkläre es Ihnen später.«
»Ich weiß eine kleine gemütliche Kneipe, gar nicht weit weg. Wir können hinlaufen.«
»Danke«, sagte Karl. »Mir langt es, wenn ich diesen Kerl bei der Arbeit ertragen muß.«
»Wat, schon abrücken?« Benno hielt ein Schwätzchen mit der Garderobenfrau. »Hat er Se jeärjert, Frollein?«
»Quatsch!« Karl zeigte mit dem Daumen auf die plüschbespannte Saaltür. »Da ist eben jemand gekommen, bei dem ich mich immer beherrschen muß, um ihm nicht eine runterzuhauen.«
»Doch nich etwa der dicke Schwede? Det is ’n oller Stammkunde, sehr spendabel.«
»Nein, sein Begleiter.«
»Ach, der Glatzkopp! – Der war in letzter Zeit ooch öfters hier. Wat is ’n mit dem?«
»Erzähl ich dir beim nächsten Training. Halt mal ein Auge auf ihn, wenn du kannst.«
Benno bekam ein Küßchen, Karl einen Arm zum Unterhaken. Schweigend hörte Vera zu, als Karl sie über Kassner aufklärte.
»Im Krieg geht es nie sauber zu, Fräulein Vera, aber er hat sich benommen wie ein Schwein. Er hat geplündert, wo er nur konnte.«
»Und Sie? Haben Sie jedesmal bezahlt – oder auch bloß quittiert –, wenn Sie in Epernay oder Reims auf einem verlassenen Weingut ein paar Flaschen haben mitgehen lassen?«
»Wie kommen Sie ausgerechnet auf Epernay? Ich war tatsächlich dort.«
»Epernay«, sagte Vera mit Bitternis. »In Epernay ist mein Lieblingscousin – wie heißt es doch so schön: gefallen. Gefallen! Klingt wie gestolpert oder ausgerutscht. Nichts von Bauchschüssen und elendigem Verrecken in schlammigen Granattrichtern. Wie schön harmlos das klingt, gefallen . Er war viel älter als ich, und eines Tages sagte die Tante: Hans ist im Feld geblieben . Noch so ein verlogener Ausdruck.«
Karl drückte ihren Arm fester. »Es war die Hölle«, sagte er. »In der Etappe hat fast jeder irgendwie die Sau herausgelassen, manchmal einfach, um den Horror zu vergessen, der einem tagtäglich an der Front widerfahren ist.« Er erzählte ihr von seinem Erlebnis bei Reims. »Natürlich hat niemand Wein quittiert, geschweige denn bezahlt. Aber wenigstens habe ich nicht unter fadenscheinigen Gründen Zivilisten arretiert und ihre Verwandten erpreßt, um – quasi als Lösegeld – an alte Cognacraritäten und so weiter zu kommen. Seine Sippe besaß eine große Spirituosenhandlung in Schwerin, müssen Sie wissen. In den Bau ist er gekommen, als er bei seinen Schiebergeschäften allzu gierig wurde. Ein französischer Bürgermeister hat einem
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