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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Malteserkreuz zierte die Deckel.
    »Ist der Baron wieder im Haus?«
    »Er ist eben eingetroffen, Herr Meunier.«
    Karl zögerte einen Moment, dann legte er die Hände auf Fritzchens Schultern, sah ihm in die Augen. »Das mit Herrn Mandelbaum weißt du sicher schon.«
    »Ja, Herr Kassner hat es uns Pagen heute morgen bei Dienstantritt aus der Zeitung vorgelesen.«
    »Weißt du noch, was für eine Zeitung das war?«
    »Na die, die er immer liest.« Fritzchen betrachtete seine Schuhspitzen. »Ich glaube, sie heißt Der Angriff .«
    »Und stimmt es, daß er euch …«, Karl suchte nach den richtigen Worten, »… daß er euch zu nahe getreten ist?«
    Fritzchen blickte erstaunt zu Karl hoch. »Was meinen Sie?«
    »Na, daß er …«
    »Daß er uns angefaßt hat oder so, wie in der Zeitung stand? Nein, Herr Meunier. Herr Mandelbaum hat so etwas nie gemacht. Er war immer bloß freundlich zu uns Pagen. Hat uns nie schikaniert, wie …«
    »Wie …?«
    Fritzchen schaute wieder auf seine Schuhspitzen. Karl drängte ihn nicht weiter zu einer Antwort und dachte sich seinen Teil. Der Fahrstuhl kam. Fritzchen ließ Karl den Vortritt.

25.
    T HE SHOW MUST GO AN
    Die politischen Kämpfe tobten immer heftiger, das Heer der Arbeitslosen bestimmte das Stadtbild. Eine weggeworfene Zigarettenkippe an der Bushaltestelle oder vor dem Kaufhauseingang hatte keine Chance, in Ruhe zu verglühen. Vermutlich gab es in ganz Deutschland keinen Zigarrenstummel oder Zigarettenrest, der nicht binnen Minuten den Besitzer gewechselt hätte. Die Wirtschaftskrise raste täglich von Höhepunkt zu Höhepunkt.
    Im Adlon war von allem wenig zu spüren. Das Hotel blieb eine Oase der Reichen, und der Fünf-Uhr-Tee erfreute sich ungebrochener Beliebtheit bei den oberen Zehntausend. Die Blumenfrau, bei der Karl gelegentlich eine gelbe Nelke fürs Knopfloch kaufte, machte weiterhin gute Geschäfte, wenn die Krisengewinnler, die sich unter die alten Adlon -Gäste gemischt hatten, ihren Damen mit gewaltigen Bouquets zu imponieren suchten. Die Frau benötigte das Geld auch dringend, um die vielköpfige Familie einigermaßen durchzubringen. Weder ihr Mann noch die älteren Kinder hatten Arbeit. Fritzchen, das wußte Karl, ernährte mit seinem spärlichen Pagenlohn und den Trinkgeldern seine verwitwete Mutter und zwei kleinere Geschwister. Im Gegensatz zum Generaldirektor begrüßte er die großkotzigen Neureichen. Weil sie mit ihrem Geld Eindruck schinden wollten, gaben sie bisweilen atemberaubende Trinkgelder. Besonders, wenn sie betrunken waren. Dennoch lief Fritzchen jeden Tag vom Gesundbrunnen zum Pariser Platz. Auch nachts. Das Fahrgeld wurde für wichtigere Ausgaben benötigt.
    Die Neureichen fuhren die protzigsten Autos, ihre Frauen behängten sich mit teuren, aber geschmacklosen Juwelen. Sie waren stets nach der neuesten Mode gekleidet. Louis Adlon litt sichtlich unter den arroganten neuen Gesichtern, die laute Vergnügungen abhielten und ihm manchmal das Gefühl gaben, ein billiger Eckkneipenwirt zu sein. Aber sie brachten Geld ins Haus, und das zählte natürlich auch. Selbst im Adlon mußte jetzt messerscharf kalkuliert werden. Hedda Adlon arrangierte sich besser mit den Veränderungen. Sie war der Kapitän, Louis Adlon, mehr Reeder als Steuermann, bevorzugte vermehrt den Hintergrund. Die resolute, lebhafte Hedda paßte besser in die turbulente Zeit, war flexibler als ihr aristokratischer Louis. Kosmopolitisch wie ihr Mann besaß sie die Gabe, stundenlang in der Bar mit dem amerikanischen Botschafter Sekt zu trinken, um tags darauf ohne größere innere Überwindung mit Emmy Göring Kaffeeplausch zu halten oder mit der frischvermählten Magda Goebbels einen Einkaufsbummel zu machen. Berührungsängste waren ihr fremd. Übergroße Sensibilität bescheinigte der Frau Generaldirektor niemand im Haus. Gab es Probleme mit dem Personal und hätte Louis Adlon im extremsten Fall geäußert: »Ich verbitte mir das!«, so konnte Hedda Adlon wie ein Droschkenkutscher fluchen. Sie kümmerte sich also verstärkt um das anfallende Tagesgeschäft, Louis Adlon um die alten Stammgäste.
    Karl erhielt seine Weisungen wie stets von Louis Adlon, wenn auch die Frau Generaldirektor ihn gelegentlich beanspruchte. Das passierte meistens, wenn ihr bevorzugter Fahrer, Herr Mirow, andererseits unabkömmlich war. Die Frau Generaldirektor hatte ein indifferentes, eher unterkühltes Verhältnis zu Karl, wohl weil L. A. ihn während ihrer Abwesenheit eingestellt hatte, aber er galt als

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