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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Wirtschaftseingang, er muß aufgetankt werden. Das mit dem Taxi für Holtsen erledige ich gleich.«
    Der Empfangschef notierte es auf einem Zettel, den er durch den Schlüsselring zog. Karl ergriff die Konfektschachteln und eilte zur Telefonzentrale.

26.
    B EI L AUBENPIEPERS
    Karls Umzug nach Pankow verzögerte sich bis in den Juni hinein. Es hatte einen Wasserrohrbruch in der Wohnung über ihm gegeben. Karl war darüber nicht allzu erbost, denn der Hausbesitzer nahm das als Anlaß, sein Bad zu modernisieren. Karl verdiente gut. Daß die Miete ansteigen würde, kümmerte ihn nicht sonderlich, und daß er für einige Wochen aus Koffern und Umzugskartons leben mußte, amüsierte ihn eher. Er hatte jahrelang nichts anderes besessen als einen roten Leinenschrankkoffer, und auch Vera, die es gewohnt war, auf Tournee zu improvisieren, litt nicht unter dem Chaos am Rosenthaler Platz, wenn sie die eine oder andere Nacht bei ihm verbrachte. Artisten sind fahrendes Volk. Was für kulinarische Köstlichkeiten sie zwischen Bücherkisten und Waschkörben, gefüllt mit Oberhemden oder Unterwäsche, zauberte, grenzte an ein Wunder, zumal die meisten Küchenutensilien in einem Karton hinter den Büchern verbarrikadiert waren.
    Karls Mutter lud Karl und Vera wiederholt zum Kaffee ein. Sie war freundlich zu Karls Freundin, aber erblickte in ihr kaum die zukünftige Schwiegertochter. Der alte Standesdünkel zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft saß tief. Vera war eine von der »Krücke«, und alle Menschen, die in der Koloniestraße wohnten, die an der Panke einen Knick machte, da, wo die Aalräucherei stand, mochten rechtschaffene Menschen sein, indes, sie waren anders und bekannterweise Proletarier .
    Die Binders waren herzlicher. Sie wohnten in einem kleinen, massiven Häuschen, keiner Laube im eigentlichen Sinn, nahe dem S-Bahnhof Schönholz. Karl bekam eine Flasche Bier in die Hand gedrückt, und am Tisch unter dem großen Kirschbaum vor dem Küchenfenster wurde zusammengerückt. »Hier werden alle satt«, sagte Mutter Binder und schwenkte die Bratpfanne. Ein zusätzlicher Teller und Besteck fanden im Nu ihren Weg zu Karl. Wenn bei Binders gegessen wurde, war selten bloß die Familie anwesend. Nachbarskinder, Herr Höhne von gegenüber, ein verwitweter Eisenbahner und Angelfreund von Vater Binder, ein Cousin von Vera aus Pommern, der auf Arbeitssuche war, sie alle verließen nie das Laubengrundstück in der Kleingartenkolonie Scherbeneck, Kolonie-, Ecke Kühnemannstraße, mit hungrigen Mägen. »Wo für drei wat is, is auch wat für vier«, pflegte Mutter Binder zu sagen und ignorierte damit die Tatsache, daß sie gerade sechs Personen am runden Ausziehtisch unter dem Kirschbaum abspeiste. Karl registrierte, daß Vera ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. »Wir sind einfache Leute«, hatte sie gesagt, als sie Arm in Arm vor der vornehmen Gartentür an der Kühnemannstraße gestanden hatten, der Straße, die postalisch zu Reinickendorf gehörte.
    »Ich lieb dich«, hatte Karl gesagt. »Zu deiner Beruhigung, meine besten Freunde in Malta waren Fischer oder Tischler, die barfuß gingen.«
    Niemand war barfuß im Garten. Und im Gegensatz zu den vielen Maltesern war niemand Analphabet. Veras Bruder, nachdem er Karl ein Bier geöffnet hatte, las den Anwesenden aus einer kommunistischen Broschüre vor. Vater Binder protestierte heftig. Er rannte in die Laube und warf das Manifest auf den Tisch. »Ihr wollt B, ohne A erreicht zu haben. Steht alles hier drinnen! Lest mal lieber richtig, was Karl Marx schreibt: erst Sozialismus, dann Kommunismus!«
    »Erst essen!« kommandierte Mutter Binder, und alle langten zu. »Nehmen Sie es nicht ernst, Herr Karl, so geht es immer bei uns zu.«
    Sie legte Karl zwei knusprig gebratene Plötzen auf den Teller, tat reichlich Salzkartoffeln hinzu. Über alles streute sie frischgehackte Gartenkräuter. »Aber Vorsicht, es sind viele Gräten drin!«
    Der Fisch schmeckte köstlich. Wohl wahr, er war grätenreich, aber er erinnerte Karl an die kleinen Lampukis , die es im Winter in Malta gab. Dort grillte man sie. Die Plötzen hier hatte Mutter Binder in Bierteig getaucht und in der Pfanne goldbraun gebraten.
    »Aus dem Tegeler See, Herr Karl.« Vater Binder hob die letzte Plötze aus der Pfanne. »Wer will noch?«
    Vera sagte mit vollem Mund: »Gib sie dem Kleinen, er ist noch im Aufbau.«
    Veras Bruder protestierte. Die Plötze landete auf Herrn Höhnes Teller. »Du hast erst drei gehabt, Theo!«
    Karl

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