Unter den Linden Nummer Eins
hob die Bierflasche. »Auf die Köchin und die erfolgreichen Petrijünger!«
Sie stießen mit den Bierflaschen an.
»Nennen Sie mich doch bitte einfach Karl.«
»Hans.« Veras Bruder hob die Flasche. »Bloß, sag bitte nich Hänschen!«
»Siegfried«, sagte Vater Binder. »Siegfried August.« Er lüftete seine Schiebermütze.
Hans griente breit. »Auf den August ist er besonders stolz, aber alle sagen nur Siegfried.«
»August? – Wegen August Bebel?« Karl schaute Mutter Binder an. Die nickte ihrer Tochter zu. »Dein Karl hat ’n helles Köpfchen.« Sie räumte die Teller ab. »Ich bin die Ottilie.«
»Hans würde lieber Joseph heißen«, sagte Vater Binder. »Aber doch wohl nicht wegen dem Hinkefuß, oder, Hans?«
»Der eine ist braun und ein Verbrecher, der andere rot. Ich seh da wenig Unterschied.« Vater Binder nahm einen Schluck aus der Flasche und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Hans protestierte lautstark. Mutter Binder kam aus der Laube zurück und brachte Biernachschub. Ihr Mann kreuzte die Arme vor der Brust und fing an zu lachen. »Bei dir ticken se wohl nich richtig: Der Thälmann ist ’ne Stalinmarionette, weiter nix!«
Mutter Binder verteilte das Bier. »Stör dich nich dran, Karl, bei uns geht’s immer hoch her, wenn die beiden sich über Politik in die Wolle kriegen. Is aber nich so gemeint.«
Karls Tischnachbar gab ihm die Hand. »Höhne, mit Vornamen Theo. Kann dir bestätigen, was die Ottilie sagt. Meistens hacken sie gemeinsam auf mir rum, weil ick ein Zentrumsmann bin.«
Karl drückte die Hand. »Solange ich nicht mit einem Nazi Bruderschaft trinken muß, bin ich tolerant, Theo.«
Vera beobachtete alles aus der Ferne. Sie hatte sich einen Liegestuhl auf die Wiese gestellt und sonnte sich. Die Binders waren, was Obst und Gemüse, Eier und das gelegentliche Suppenhuhn anbetraf, autark. Den Weg zur Laube säumte eine Reihe Apfelbäume. Beerensträucher umrahmten die Gemüsebeete, und in einem abgezäunten Rasenstück neben dem Werkzeugschuppen gackerte das Hühnervolk.
»Gefällt es dir?« Vera drehte den Kopf und mußte blinzeln, als Karl sich neben sie ins Gras legte. Die Nachmittagssonne war noch stark. Es sah nach einem Bilderbuchsommer aus.
»Es ist ein bißchen wie Verreistsein. Soviel Grün überall. Nicht, was man sich sonst so unter Wedding vorstellt.« Er dachte an die Mietskasernen in der Ackerstraße mit den vielen engen Hinterhöfen, die nie einen Sonnenstrahl abbekamen. Fritzchen hatte ihm erzählt, daß seine Geschwister zum Spielen die Wahl zwischen einem Schrottplatz oder einem Kohlenhof hatten. »Ein bißchen ist es hier wie auf dem Lande.«
»Ist ja auch nicht Wedding«, sagte Vera und zeigte auf die Kühnemannstraßentür in der hohen Buchsbaumhecke, die das Grundstück umgab.
Hans setzte sich zu ihnen. »Vera hat erzählt, daß du nächste Woche Hilfe beim Umzug gebrauchen kannst? Meine Firma hat dichtgemacht, ich geh wieder stempeln. – Bloß am Freitag geht es schlecht, da spricht Thälmann.«
»Das bedeutet, Brüderchen kriegt wieder mal die Hucke voll.«
»Quatsch! So ’n paar blaue Flecken zählen nicht. Letzte Woche sind die Braunen ganz schön stiftengegangen, als wir aufkreuzten.«
»Erstunken und erlogen, Karl, glaub ihm kein Wort, in der Zeitung stand was anderes!« Sie streckte ihm die Zunge raus.
»Wahrscheinlich im Angriff !« Hans rupfte Grashalme aus und bewarf seine Schwester.
»Den lese ich nie, das weißt du genau. In der Mottenpost stand’s. – Und laß den Rasen in Frieden.«
»Scheiß kapitalistische Presse, ist ja fast das gleiche!«
»Hansi redet wirr, Karl, hör weg!«
Veras Bruder buffte Karl in die Rippen. »Sie kommt ganz nach Mutter. Ist sie bei dir auch so herrschsüchtig?«
Vera richtete sich auf und griff nach dem Gartenschlauchende. Hans suchte lachend hinter Karl Deckung. »Frieden, ich ergebe mich!«
»Hätt ich dir auch geraten«, knurrte Vera.
»Karl? Vera hat mir gesagt, du machst Ju-Jutsu.«
»Ja.«
»Einmal mußten wir tatsächlich abhauen. Sie hatten alle Bleirohre dabei. Schau mal. Mußte genäht werden.« Hans streifte den Hemdsärmel hoch. »Kennst du einen Trick, was man da macht, wenn so ein SA-Schwein auf einen einprügelt?«
»Ich denke schon. Meistens zielt man ja auf den Kopf, und der Schlag kommt von oben oder von der Seite.«
»Richtig. Ein Genosse liegt seitdem im Krankenhaus. Schädelbruch. Sieht böse aus. Glaube kaum, daß er durchkommt.« Er trank die Bierflasche aus
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