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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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höflichste Mensch auf der Welt. Ein Jongleur. Er hatte wie wir ein Engagement in einem Münchner Varieté. Sein Vertrag lief zwei Tage vor unserem aus. Er lud uns noch vor seiner Abreise zum Essen ein. Als er weg war, fehlten alle Wertsachen in unserer Garderobe.«
    Karl schüttelte energisch den Kopf. »In Malta passiert so etwas nicht. Jonny und ich haben zum Beispiel unsere Haustür nie abgeschlossen, wenn wir ausgegangen sind.«
    »Das nehme ich dir nicht ab«, sagte Vera. »In Malta wird es gute und schlechte Menschen geben, wie überall.«
    »Schon, aber Malta ist klein, und jeder kennt jeden. Außerdem …« – Karl hob einen strengen Zeigefinger – »ist man nicht zimperlich, wenn man einen Dieb oder Räuber erwischt. Wenn der Bursche das überlebt, kann er von Glück sagen.«
    »Na gut. Was machen wir? Wir können uns ja nicht tagein, tagaus durch Valletta chauffieren lassen, so interessant es sein mag.«
    »Jonny hat ein Boot. Wir werden, wenn es das Wetter erlaubt, nach Gozo segeln. Das ist eine Insel im Norden von Malta. Oder besser nach Comino. Auf Comino wohnt niemand.« Karls Stirn rutschte südwärts. Vera, die fröstelte, hatte in der Kochmaschine ein Höllenfeuer entfacht. »Es gibt eine Blaue Lagune, wo man bis auf den Meeresgrund sehen kann.« Karl sah in andere Tiefen.
    Vera knöpfte ihre Bluse auf. »Einsame Insel. – Ich dann Freitag?«
    »Du Mittwoch«, sagte Karl. »Und Samstag und …«
    Als Karl wieder bei Mittwoch angelangt war, gab es keine Blaue Lagune mehr. Karl heizte das Schlafzimmer nie.

24.
    » G ERECHTER V OLKSZORN«
    Louis Adlon sah nicht auf, als Karl das Büro betrat. Seine Stimme war merkwürdig tonlos. »Hier, Meunier!« Er reichte Karl die neueste Ausgabe der Berliner Morgenpost aufgeschlagen über den Schreibtisch. »Unter Polizeibericht.«
    »Nähe Nollendorfplatz wurde in der vergangenen Nacht von zwei Streifenpolizisten der leblose Körper eines Mannes gefunden. Besagte Person wurde anhand seines Ausweises als der Hotelangestellte Erwin M. identifiziert. Kurz nach Auffinden der Leiche beobachteten Anwohner in der Motzstraße eine Horde angetrunkener Männer, die das Horst-Wessel-Lied grölten.«
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
    Wortlos gab Louis Adlon Karl eine weitere Zeitung. Der Angriff , Goebbels Hetzblatt, spritzte auf der ersten Seite das gewohnte Gift gegen den Berliner Polizeivizepräsidenten Bernhard Weiß.
    Karl blätterte hastig. Ein Gruppenfoto zeigte die neuen NSDAP-Reichstagsabgeordneten vor dem Brandenburger Tor. Eine Menschenmenge jubelte ihnen zu.
    Karl blätterte und murmelte halblaut die Seitenzahl. »Seite acht, neun …«
    »Noch weiter hinten. Zirka Seite zwölf. Es gibt ein Foto.«
    Auf Seite elf ließ sich ein Pg. namens Dr. P. Dinkel über die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung aus. Derselbe Zeichner, der Bernhard Weiß als hakennasigen Geier »Isidor« auf der Titelseite karikiert hatte, hatte einen bärtigen Kaftanträger mit bodenlangen Ringellocken skizziert, der gierig einen Globus befingerte. Er trug unverkennbar die Gesichtszüge von Albert Einstein.
    Angewidert blätterte Karl um und erbleichte. Das Foto war gestochen scharf.
    »Das verdiente Ende eines jüdischen Sittenstrolchs!«
    Eine zusammengekrümmte Gestalt lag auf dem Trottoir vor einer Kaffeerösterei: Mokka-Meier . Zwei schreckensweit aufgerissene Augen starrten in die Kamera. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der helle Wintermantel hatte breite dunkle Revers.
    »Deutsche Volksgemeinschaft in der Winterfeldtstraße, jubiliere! Endlich hat der gerechte Volkszorn ein bekanntes, minderrassiges, kriminelles Element ausgemerzt. Was Isidors Trieseltruppe nicht geschafft hat, nahmen hehre Kämpfer für Sitte und Ordnung in die eigenen Fäuste: Sie richteten einen Perversen, einen perfiden Abartigen. Deutsche Eltern! Der Jude Mandelbaum wird Eure ahnungslosen Söhne nie mehr des nachts in dunkle Hausflure locken und sich ihnen unsittlich zu nähern versuchen. Lob und Preis den beherzten Richtern, die …«
    Karl schüttelte sich.
    Louis Adlon hatte die Augen geschlossen. Leise sagte er: »Sie haben ihn direkt vor seiner Haustür ermordet.«
    Karl zerfetzte den Angriff und biß die Zähne zusammen. Louis Adlon verharrte reglos. Karl verließ das Büro wie in Trance. Fritzchen sah ihn mit offenem Mund an. Karl riß sich zusammen.
    Der Junge wartete mit zwei Koffern auf den Fahrstuhl. Es waren teure Lederkoffer italienischer Machart. Ein achtspitziges

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