Unter den Linden Nummer Eins
ein besonnener Fahrer, dem man ohne weiteres den großen Mercedes anvertrauen konnte.
»Sie kennen die Hagenstraße im Grunewald, Herr Meunier? – Um so besser. Hausnummer 34, Herr Junker erwartet Sie in einer halben Stunde, das müßte zu schaffen sein. Legen Sie das Gemälde nicht in den Kofferraum, es wird ohnehin kaum hineinpassen, sondern verkanten Sie es vorsichtig im Fond. Die Farbe ist noch sehr empfindlich.«
»Sehr wohl, Frau Generaldirektor.«
»Und noch eins, Herr Meunier. Bringen Sie das Bild gleich in den Schreibsaal.«
Der Maler stand in der offenen Haustür, als Karl eintraf. »Frau Adlon möge bitte darauf achten, daß das Gemälde nicht unmittelbar über einem Heizkörper aufgehängt wird. Es tut der Farbe nicht gut, wenn sie zu schnell eintrocknet.« Gemeinsam trugen sie das Bild zum Wagen. Es war bereits gerahmt. Die Signatur glänzte noch feucht.
Hedda und Louis Adlon hatten eine gemeinsame Passion: Reiten. Frau Adlon ritt einen stattlichen Hengst. Der Künstler hatte die Frau Generaldirektor höchst schmeichelhaft dargestellt. So mochte sie als Backfisch ausgesehen haben. Nicht gerade gertenschlank, aber doch auffällig abgespeckt. Auch das Tier hatte eine Schlankheitskur gemacht. Unter der echten Hedda Adlon wäre das zierliche Araberpferd auf dem Gemälde in die Knie gegangen.
Am Wirtschaftseingang wartete bereits der Hausmeister brummelnd auf ihn. »Könnse det nich jleich und könnse det nich sofort! Un am besten allet schon jestern! – Fast hätt ick ihr jesacht, hörn Se mal, so schnell schießn ooch de Preußen nich! – Inner dritten Etage pfeift de Heizung wie Ilse Werner, aber nee! – Ick soll allet stehn un liejen lassn, weil ick ’nen Nagel inne Wand kloppn soll – weil Se ühn Werniesaasch hat. Wat is’n det eigentlich, Karl, Werniesaasche? «
Zwei Pagen trugen das Bild in den Lesesaal.
»Eine Kunstausstellung, wo man neue Bilder zum ersten Mal zeigt.«
Der Hausmeister sog die Luft durch die Nasenlöcher. »Soll det die Frau Jeneraldirektor sein? Na, denn isset tatsächlich für mir ’ne Werniesaasch .«
Diese Meinung sollte bald auch Holtsen teilen. Er beschrieb mit rosa Tinte handgeschöpfte Präsentkärtchen, die Tron-Herman unter die Schleifchen diverser Pralinenschachteln steckte.
»Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, mein lieber Meunier. – Oh, was haben wir denn da?«
Karl trat zur Seite.
»Oha, ein zeitgenössisches Kunstwerk! Die Frau Direktor, wie sie leibt und lebt, so sagt man doch auf deutsch?«
Der Hausmeister polterte seine Anweisungen.
Holtsen trat näher zu Karl. Sein Mund spitzte sich zu einem kleinen Schnabel. Augenzwinkernd sagte er: »Hätten Sie zufällig die Adresse dieses begnadeten Meisters der bildlichen Darstellung für mich?«
Karl legte die Hände an die Hosennaht und verbeugte sich. »Ich würde empfehlen, Herrn Direktor Holtsen modern darzustellen. Auf einer Fahrradtour in den Alpen.«
Holtsen hieb ihm lachend auf den Rücken. Zum Glück hatte Karl in Erwartung des Schlages die Muskeln angespannt, sonst wäre er kopfüber durch die Leinwand geschossen. »Vortrefflich, Meunier, vortrefflich, wirklich!« Der massige Körper des Schweden vibrierte wie ein gigantischer Wackelpudding. »Ganz famos. – Aber bitte ein Fahrrad mit Panzerketten für mich!«
Tron-Herman räusperte sich. Er hatte die Konfektschachteln zu einem kleinen Turm aufgeschichtet. »Ich bringe sie jetzt zur Rezeption.«
»Lassen Sie nur. Ich muß ohnehin in die Lobby.« Karl nahm ihm die Schachteln ab. »Weiß man vorne Bescheid?«
Holtsen nickte. »Ein Taxi soll die Präsente gleich überall vorbeibringen. Geben Sie dem Fahrer einen Extrafünfer.«
»Ich kenne einen verläßlichen Fahrer«, sagte Karl. »Ich kümmere mich darum.«
Karl verließ den Lesesaal. In der Vorhalle warf er einen Blick auf die oberste Pralinenschachtel: Frau Emmy Göring. Er hob die Schachtel an: Frau Magda Goebbels. Die dritte Adressatin kannte er nicht, wohl aber die vierte: Frau Hanna Randhuber. Holtsen schien ganz auf einen Sieg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl Ende Juli zu setzen.
Hedda Adlon rauschte Richtung Lesesaal vorbei. »Ist es da?«
»Der Hausmeister hängt es gerade auf, Frau Generaldirektor.«
Die Frau Generaldirektor nahm es gnädig zur Kenntnis und rauschte weiter. Fritzchen kam aus der Telefonzentrale gerannt. »Sie werden am Telefon verlangt!«
Karl gab dem Empfangschef den Mercedes-Schlüssel. »Der Wagen steht vor dem
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