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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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griechischer Rittmeister hatte den rechten Fuß auf ein Bänkchen gestellt. Er hielt einen langen Zigarillo in einer Bernsteinspitze zwischen den Lippen und betrachtete gelangweilt die Vorbeigehenden. Der Schuhputzer bearbeitete das helle Leder mit einem flauschigen Tuch.
    Karl entdeckte seine Blumenfrau. »Nanu, Sie hier?«
    »Ab heute. Ick hab keenen Jewerbeschein mehr jekricht vor’m Adlon .« Sie nahm eine gelbe Nelke aus dem Eimer und kürzte den Stiel. »Darf’s ooch wat für die Dame sein?«
    Karl zeigte auf eine rote Rose. Die Frau wickelte sie in Seidenpapier.
    »Und warum nicht?«
    Die Frau schaute verächtlich zu einem der Schuhputzer, der seinen Stand mit einem Hitlerbild geschmückt hatte. »Weil der Pariser Platz und die Wilhelmstraße jetzt so ’ne Art Bannmeile jeworden is für unsereens. Und ausjerechnet meen Schein is vorje Woche abjeloofen.«
    »Na, hier ist es doch auch ganz gut«, tröstete Karl.
    »Schlecht isset nich, da ham Se recht, aber die ollen Stammkunden sind natürlich alle flöten. Und Konkurrenz is ooch mehr.«
    »Trotzdem viel Glück«, sagte Vera.
    Karl zog den Hut.
    »Und für Sie eenen juten Tach noch«, wünschte die Blumenfrau.
    Vera roch an der Rose. »Danke!«
    Karl öffnete den Mantel und steckte sich die Nelke ins Knopfloch, warf den Kopf in den Nacken, räusperte sich und sagte: »Ähäm, wenn man auf die Fünfzig zugeht, sollte man seine junge Gespielin gelegentlich verwöhnen. Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft und mögen dienlich sein, daß sich besagtes weibliches Wesen nicht urplötzlich in Luft auflöst.«
    »Nu mach mal halblang, Karlchen, bis Fünfzig sind es ja noch ein paar Jährchen.«
    Eine grazile Ausländerin, ihr Teint verhieß mindestens Ägäisbräune, betrachtete schlendernd die Auslagen von Juwelier Rehberg.
    »Mein Sich-in-Luft-Auflösen könnte dir wohl so passen!«
    »Viel zu dürr«, sagte Karl und legte den Arm um Veras Hüfte. »Außerdem ist mir die Dame zu alt.«
    »Da haben wir’s! Je oller, je doller. Die ist doch noch keine achtzehn!«
    »Na und? Goethes letzte Geliebte …«
    Der Begleiter der Südländerin war der griechische Kavallerieoffizier. Mit auf Hochglanz gewienerten Stiefeln salutierte er galant vor der jungen Frau und bot ihr den Arm.
    »Der könnte mir auch gefallen«, sagte Vera.
    »Mit euch würde das keine zwei Wochen dauern, dann wär er am Ende mit seinen Nerven – oder im Leichenschauhaus.«
    »Versteh ich nicht!«
    »Südländer sind extrem eifersüchtig, liebes Kind. Er würde sich mit jedem duellieren wollen, der dich im Oriental mehr als eine Sekunde lang anstarrt.«
    »Oh, das sind nicht wenige«, sagte Vera mit einem verschmitzten Lächeln.
    »Eben drum! Da er aber die Myriaden deiner Bewunderer vermutlich nicht alle im Tiergarten über den Haufen schießen kann, wird er also entweder in der Pathologie oder in Wittenau enden.« Karl warf sich in die Brust. »Nee, Frollein, bei mir sind Se schon richtich!«
    »Bin ja auch schon wieder brav, Karlchen.« Vera stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuß.
    ›Das ist das tolle an ihr‹, dachte Karl. ›Sie ist nicht nur jung und wunderschön, sondern sie hat auch eine gehörige Portion Witz und ist herrlich unkompliziert und direkt.‹
    Mit seiner Verflossenen, der scharfzüngigen Edith, hatte er über zwei Jahre in einer Art Dauerclinch gelegen. Eifersüchtig, wenn auch grundlos, denn Karl haßte wirre Liebesbeziehungen, war Edith gewesen – selbst auf die Freunde vom Ju-Jutsu. Vera indes machte nie spitze Bemerkungen, wenn er mit Benno und den anderen gelegentlich nach dem Training versackte.
    Im Gegenzug löcherte Karl Vera nicht mit Fragen, wie sie außerhalb vom Oriental ihre Zeit verbrachte. Sie war oft weg, Tourneen, Auftritte in anderen Städten, da half eh nur Vertrauen, oder wie es Karl nannte – ein bißchen reife Abgeklärtheit. Und es funktionierte. Jeder hatte seine kleinen Eigenarten. Karl schätzte ruhige Abende bei einem guten Roman und einer Flasche Wein. Vera hatte einen riesigen Freundeskreis und pflegte ihn. Sich nicht ständig auf der Pelle zu sitzen, das waren Veras Worte, bekam den beiden.
    In der Rosmarinstraße wurde Vera bereits erwartet. Der Fotograf hatte die Aufnahmen auf einer Glasplatte ausgebreitet und nahm letzte Retuschierarbeiten vor. Es waren großformatige Bilder für den Schaukasten des Oriental und Werbepostkarten für die Künstleragenturen: die Venduras bei der Bodenakrobatik, ihre komische

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