Unter den Linden Nummer Eins
Silberdiebstähle gehäuft haben, Stichproben, wenn das Personal Feierabend hat. Handtaschenkontrolle und so weiter. Das war allgemein bei der Belegschaft bekannt.«
»Am Körper oder in der Tasche etwas aus dem Hotel zu schaffen, war also zumindest sehr riskant«, sagte Karl. »Nachdem wir uns tagelang den Kopf zerbrochen haben, kamen wir zu folgendem Schluß: Die Lieferanten sind im Normalfall nie allein im Wirtschaftstrakt, sie schieden also weitgehend aus. – Selbst das zurückgehende Leergut aus dem Weinkeller wird von Herrn Obier kontrolliert, bevor es den Hof verläßt.«
»Blieben im Prinzip nur Müll und Küchenabfall«, sagte Lilo Fleischer.
»Gute Arbeit«, wiederholte Louis Adlon und fügte seufzend hinzu: »Der Mensch hat uns um etliche Pfund Silber erleichtert. Aber der Mißstand ist ja nun abgestellt.« Er schüttelte beiden zum Abschied die Hände. »Ach ja! Und erstatten Sie bitte auch Anzeige gegen den Schweinemäster!«
»Das ist bereits geschehen, Herr Generaldirektor«, sagte Lilo.
»Pardon«, sagte Louis Adlon lächelnd. »Herr Obier hält übrigens zwei Flaschen Sekt für Sie bereit, als kleine Anerkennung für Ihren schnellen Erfolg.«
Drei Pagen schleppten das Gepäck von Gianni de Neva durch die Halle zur Rezeption. Der Baron beglich seine Rechnung, während die Pagen, überwacht vom Doorman, die Koffer ins Taxi schafften. Kassner wurde innig die Hand geschüttelt, dann stolzierte der Baron zur Drehtür, nach rechts und links Trinkgelder verteilend.
»Kassner scheint ihn zu mögen«, sagte Lilo. »So hyperfreundlich ist er sonst nur zu prominenten Nazis.«
»Hitleranhänger gibt es in Südamerika, in Afrika und sonstwo, Lilo, warum nicht auch auf Malta?«
»Hast recht. Selbst in den Arbeiterbezirken sollen sich die Leute darum drängeln, Pg. zu werden.«
»Opportunisten gab es zu allen Zeiten, das erstaunt mich nicht besonders.«
»Na danke schön!«
7.
L IEBE GEHT DURCH DEN M AGEN
Vera wartete auf Karl vor der Weinhandlung. Sie trug einen knöchellangen neuen Mantel und eine Pelzkappe. Karls Umarmung fiel herzlich, aber ungeschickt aus, denn er hatte die Weinflasche in der einen und den Steppenwolf in der anderen Hand. »Ein neuer Mantel? Das heißt, ihr tretet in Leipzig auf und habt Vorschuß bekommen!«
»Karl, der Hellseher!« Vera nahm ihm die Flasche ab und hakte sich bei ihm unter. »Und du trittst in Kassners Fußstapfen und läßt Sekt mitgehen!«
»Meine junge und vorschnelle Freundin möge erst ihre Geschichte erzählen, dann bin ich dran, was es mit dem Sekt auf sich hat.«
Vera blickte einer Frau nach, die einen ähnlichen Mantel anhatte. Karl bemerkte es nicht. »Also: Ruella hat an unserem Engagement natürlich kräftig mitverdient, aber pfiffig verhandeln kann der Kerl schon. Fast wie ein jüdischer Pferdehändler. Er hat uns nicht bloß nach Leipzig vermittelt, sondern auch nach Dresden, Jena und was weiß ich wohin. Drei Wochen haben wir pausenlos Auftritte in den ersten Häusern, da wird der Rubel rollen!«
»Und ich darf währenddessen hier in Berlin Trübsal blasen!«
»Im Gegenteil, Karlchen, du kannst jeden Abend mit Benno und deinen Sportkumpels um die Häuser ziehen und nach Herzenslust die Wohnung verlottern lassen!«
»Was hör ich da? Bei mir ist immer ordentlich aufgeräumt!«
»Und was war mit den Abwaschbergen?«
»Aha! Mata Hari-Binder war spionieren!«
»Spioniert? Abgewaschen hab ich! Wie soll man denn vernünftig kochen, wenn die Küche aussieht, als hätten da die Vandalen gehaust? – Die Bratpfanne zum Beispiel! Hast du versucht, Pemikan zu fabrizieren?«
»Äh, ein Kotelett ist mir ein wenig angebrannt. – Was gibt’s denn Leckeres?«
»Verrat ich nicht!«
Auf den Linden hatte es einen Verkehrsunfall gegeben. Ein Linienbus mit Odol-Mundwasser-Reklame war auf einen Bierwagen aufgefahren. Zwei Bierfässer waren auf die Fahrbahn geschleudert worden und zerplatzt. Die Passanten kommentierten das Ereignis sehr berlinerisch salopp: »Odol wirkt ooch nich mehr wie früher. Ick riech die Fahne noch janz jenau.«
Ein Mann in Arbeiterkluft sagte: »Schade um det schöne Bier. Hätt der Bus ’n Odol-Laster gerammt, wär et besser jewesen. Die reene Luft wär dann vielleicht bis zur Reichskanzlei geweht und hätt die Bude desinfiziert!«
Ein SA-Mann stand in der vordersten Reihe der Schaulustigen und drehte sich nach dem Sprecher um. »Wie meinen Sie das?«
»Na, wie ick et sage!« Der Arbeiter war ein baumlanger Kerl mit Schultern
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