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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Nummer und der Rollschuhtanz.
    Beim Rollschuhtanz trugen sie die Straßtrikots.
    »Ach, sind die gut geworden!« rief Vera.
    »Gibt es eins für einen Bewunderer der edlen Varietékunst? – Darf ich?« Karl hielt das Foto ins Licht. »Oh, là, là!«
    »Gib’s zu, Karl, du willst das Foto ja bloß wegen Birgit und Doris«, neckte Vera.
    Der Fotograf zwinkerte Karl zu. »Tja, wer die Wahl hat, hat die Qual, obgleich man bei den jungen Damen nicht von Qual reden sollte.«
    »Qual ist manchmal genau der richtige Ausdruck«, sagte Karl, denn Vera entwand ihm justament die Postkarte mit einem Griff, genauer gesagt, mit einem Handstreckdrehhebel, wie es ihr Benno und Karl beigebracht hatten.
    Vera war eine begabte und kräftige Schülerin.
    »Autsch!« sagte Karl und hatte seine liebe Not, sich zu befreien. »Selten einer derart niveauvollen Rangelei beigewohnt«, sagte der Fotograf und ging in Deckung.
    »Verbuchen Sie es unter: ›Was sich liebt, das neckt sich‹«, sagte Vera und rannte um den Tisch, Karl hinterher.
    »Krieg mich doch!«
    Der Fotograf stellte sich schützend vor das Stativ mit der Kamera.
    Karl erwischte Vera am Mantelärmel und bremste sie. Sekunden später balancierte er sie bäuchlings über der Schulter.
    »Vorsicht, der Kronleuchter!« Der um seine Wohnungseinrichtung besorgte Fotograf hielt sich die Augen zu, aber Karl hatte Vera bereits wieder behutsam zu Boden gelassen.
    »Wenn wir das einige Male üben, können wir zusammen auftreten, Karlchen.«
    »Bitte nicht in meinen vier Wänden!« sagte der Fotograf.
    »Da, hast sie dir verdient!« Vera gab Karl einen Kuß und die Postkarte. »Vielleicht wirst du ja irgendwann Muselmane, dann kannste mit uns allen.«
    »Gott behüte mich davor. Das wäre mein sicheres Ende! Obgleich, wenn ich Birgits Dekolleté so richtig betrachte, falls auch weniger drin sein sollte als bei einem gewissen Fräulein Binder, tiefer ist es jedenfalls!«
    Vera schaute skeptisch auf das Bild. »Hm, stimmt, vielleicht zwei Zentimeter!« Sie grinste Karl spitzbübisch an. »Eine Brille scheinst du immerhin noch nicht zu brauchen.«
    Karl gab ihr einen Klaps auf den Po. »Gleich setzt es was!«
    »Das wollen wir doch mal sehen!« sagte Vera und ging in Kampfstellung wie ein Boxer.
    Der Fotograf griente sie an und schwenkte die großformatigen Aufnahmen vor einer Heizspirale mit Gebläse. »Falls Sie wieder einen Ringkampf veranstalten, bitte veranstalten Sie einen kurzen. Es dauert nämlich nur noch ein, zwei Minuten, bis der Retuschierstift richtig getrocknet ist.«
    »Nee«, sagte Vera und machte einen Knicks vor Herrn Fröschl. »Einmal austoben am Tag reicht eigentlich meistens. Wir sind jetzt wieder ganz brav.«
    Der Fotograf steckte die Aufnahmen in einen steifen Umschlag, zwischen die Bilder hatte er dünnes Papier gelegt. »Falls Ihr Herr Direktor die Rechnung möglichst zügig begleichen könnte …«
    »Wie überall vermutlich, Herr Fröschl, die Sachzwänge, nicht wahr?«
    Der Fotograf nickte traurig. »Wenn ich meine Außenstände alle eintreiben könnte, sähe es nicht ganz so schwarz aus. Aber wer hat denn heutzutage noch Geld.«
    »Ich werde es Herrn Ruella ausrichten.« Vera zückte das Portemonnaie. »Unsere Privatabzüge zahle ich Ihnen dann wohl lieber gleich. Wo drängt es denn nicht heutzutage?«
    »Wie wahr«, murmelte der Fotograf und quittierte Vera den Betrag.
    Als sie wieder auf der Straße waren, begann es zu regnen. Weder Karl noch Vera hatten einen Schirm. Sie stellten sich im nächsten Hauseingang unter.
    »Mistwetter«, sagte Karl und knöpfte den Kragen zu. »Kein Tag ohne Regen oder Schneeregen. Er nervt langsam, dieser Scheißwinter!«
    Vera steckte den Umschlag mit den Fotos unter den Mantel. »Für den Buchladen wird mir die Zeit zu knapp«, sagte sie. »Sei so lieb und bring mir wieder etwas mit, muß aber nicht unbedingt noch eine Bindingsche Moselfahrt sein.«
    »Zu Befehl, Madame! Aber bitte nicht vergessen, daß wir abends bei Maman eingeladen sind. Ich habe Benno schon Bescheid gesagt, daß ich spätestens um fünf weg muß.«
    »Mein armes Karlchen!« schäkerte Vera. »Verzichtet wegen seines alten Mütterchens ausnahmsweise auf die monatliche Sause mit dem Sportskumpan, wie rührend! – Nee, mach dir mal keine Sorgen, Karl. Punkt sechs bin ich bei Maman, einschließlich Blumenstrauß. Teerosen, falls ich welche auftreiben kann, die liebt sie ja über alles.« Sie streifte den Mantelärmel hoch und schaute auf die Armbanduhr.

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