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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Sie brachte ihm belegte Brote ans Bett und eine große Kanne mit Pfefferminztee.
    Karl berichtete ihr von Bernhard Weiß’ Flucht.
    »Er hat offenbar noch gute Drähte zur Polizei gehabt, daß er sich rechtzeitig absetzen konnte. Andere hatten die nicht. Vater sagt, sie haben gestern nacht alle KPD-Abgeordneten verhaftet und sämtliche Parteibüros dichtgemacht. Heute gab es auch keine SPD-Presse. Sie darf vierzehn Tage nicht erscheinen. Goebbels wirft den Sozialdemokraten Mitwisserschaft bei der Brandstiftung vor. Er faserte im Radio was über einen lange vorbereiteten Aufstand der Kommunisten, und der Reichstagsbrand soll angeblich das Fanal dazu gewesen sein.«
    »Wenn ein Meteor auf den Reichstag gefallen wäre, hätte er es auch den Kommunisten in die Schuhe geschoben«, knurrte Karl.
    Vera setzte sich auf die Bettkante. »Kassner hat sich gestern im Oriental wie Klein-Goebbels aufgeführt. Bei ihm waren es natürlich die Juden, die gezündelt haben.«
    »Wie? – Er war bei euch? – Er hatte sich im Adlon krank gemeldet, Grippe, wie der Rest der Belegschaft.«
    »Davon war nichts zu merken gewesen, jedenfalls nichts von Grippe. Er hat herumgegeifert, als wäre er geisteskrank. «
    Karl schob sich ein Kopfkissen in den Rücken und griff nach der Teekanne. »Noch mal, Vera! – Er war gestern im Oriental ?«
    »Ja, sogar mit einer Begleiterin, die man ihm nicht so ohne weiteres zutrauen würde. Die Kellner sind nur so um sie herumgeschwänzelt.«
    Karl goß sich Tee ein. »Das war bestimmt die Plinz aus der Telefonzentrale. Eine üppige Blonde mit Schlafzimmerblick.«
    »Blond? Nee, es war eine rothaarige Schönheit. Sie hatten die runde Nische neben der Bar, wo sonst immer die Pärchen sitzen. Rosi hat sie bedient, meinte aber, daß alles sehr förmlich zwischen den beiden zugegangen ist. Herumgeturtelt hätten sie nicht.«
    Karl richtete sich abrupt im Bett auf.
    »Was hatte sie an?«
    »Ein Kleid, um das man sie beneiden könnte. Schlicht und einfach und wahrscheinlich sündhaft teuer, wie ein paar von den Fummeln, die manchmal in ausländischen Modezeitschriften abgebildet sind. Nichts von der Stange.«
    »Hatte Sie etwa deine Größe?«
    »Du fragst aber komisch, Karl.«
    Karl nippte an dem Pfefferminztee. »Überhaupt nicht. Ich habe bloß eine vage Ahnung, wer die Frau war. – War sie schlank?«
    »Ja, und?«
    »Dann war es die Frau, die in den Aktentaschendiebstahl verwickelt war.«
    »Das bedeutet?«
    »Das bedeutet, daß Kassner weiterhin mit der Geheimpolizei oder was weiß ich, welchem Verein sie angehört, kungelt.«
    »Die beschäftigen Frauen?«
    »Bei der Politischen Polizei soll es welche geben und bei der Abwehr sowieso.«
    »Und warum treffen sie sich ausgerechnet im Oriental ?«
    Karl hustete und verschüttete fast den Tee. Vera nahm ihm die Tasse ab, bis sich der Anfall gelegt hatte.
    »Was für Gäste waren denn noch da?«
    Vera überlegte. »Halt die übliche Mischung. Geschäftsleute, Touristen, zwei, drei Diplomaten und ein Tisch vor der Bühne mit SA- und SS-Uniformen. Als die Meldung vom Brand publik wurde, haben sie das Oriental sofort verlassen. Während sie zahlten, hat die Frau auf einen der SA-Leute gedeutet, und Kassner hat ihr etwas zugeraunt. Kassner und die Frau sind geblieben. Alle Gäste haben plötzlich aufgeregt durcheinandergeredet, und Kassner hat seine Schimpfkanonade gegen die Juden losgelassen. Die Frau hat sich nicht daran beteiligt. Sie ist ganz ruhig in der Nische sitzen geblieben und hat sich etwas auf einen Zettel notiert. Durch einen Spalt im Bühnenvorhang konnte ich gut sehen, was sie machte.«
    »Wie du das schilderst, könnte man meinen, sie hätte den SA-Mann beobachtet. Weißt du zufällig, wer das war?«
    »Nein, aber er war schon öfter bei uns. Ich glaube, einmal kam er sogar mit Kassner, will das aber nicht beschwören. Benno wird es genauer wissen.« Vera holte eine Schüssel mit Kaltwasser und stellte sie neben das Bett. In der Schüssel schwammen zwei Geschirrtücher. »Ich muß jetzt los, Karlchen. Wenn das Fieber wieder steigt, mach dir neue Wadenwickel. Zwiebelsaft steht noch reichlich auf dem Herd.«
    Karl verzog das Gesicht. »Mir geht es schon wieder blendend. – War da nicht noch irgendwo ein Bier in der Speisekammer?«
    »Karl!« sagte Vera streng. »Nix Bier. Hier!« Sie klopfte gegen die Teekanne und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. »Morgen früh komme ich vorbei und bringe frische Brötchen mit.«

14.
    S CHRITT FÜR S CHRITT
    Karl

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