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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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erforderlich.«
    Es passierte öfter, daß der Generaldirektor Verwandte im Hotel einquartierte und Karl deren Betreuung auftrug. Hedda hatte zudem eine Tochter, Louis Adlon hatte Söhne aus erster Ehe. Louis Adlon legte auf. »So, das wäre auch geregelt! – Und nun würde ich Sie bitten, Meunier …«
    Die Rohrpostleitung neben dem Schreibtisch zischelte, ein schlanker Messingzylinder, einer kleinkalibrigen Geschützgranate nicht unähnlich, fiel in einen Ledersack.
    Louis Adlon entnahm ihr den Appartementschlüssel und gab ihn Karl. »… würde ich Sie bitten, Herrn Weiß am Wirtschaftseingang abzuholen und möglichst ungesehen in sein Appartement zu geleiten. – Kassner ist zwar gottlob nicht im Haus, aber Raschdorf und Möhring sollten Herrn Weiß besser auch nicht zu Gesicht bekommen.«
    Raschdorf und Möhring waren Etagenkellner, die der NSDAP beigetreten waren.
    Der Generaldirektor zog seine Uhr aus der Westentasche und ließ den Deckel aufspringen. »Er wird in genau zehn Minuten mit einem grauen DKW eintreffen.« Louis Adlon musterte Karl. »Ich weiß, Meunier, daß Sie sich vermutlich kaum noch auf den Beinen halten können nach einem solchen Achtzehn-Stunden-Tag …«
    Karl machte eine beschwichtigende Geste.
    »… nein, ich weiß, daß ich da sehr viel von Ihnen verlange! Aber nehmen Sie mich bitte beim Wort: Wenn Herr Weiß morgen früh das Haus verlassen haben wird, dann kriegen Sie von mir drei Tage bezahlten Extra-Urlaub, egal, ob noch mehr Leute krank werden sollten oder nicht.«
    Louis Adlon schob die schweren Brokatvorhänge zur Seite. Der Reichstag brannte noch immer lichterloh.
    Karl rief im Oriental an. Benno war am Apparat. »Der Reichstag brennt!«
    »Wissn wa schon. Kam gerade innen Rundfunknachrichten.«
    »Bitte sag Vera, ich werde erst morgen früh zu Hause sein.«
    »Richt ick aus. – Können se det Feuer löschen?«
    »Bis jetzt nicht.«
    »Det is ja ’ne schöne Bescherung!«

11.
    E IN SPÄTER G AST
    In der Wilhelmstraße herrschte ungewöhnlicher Verkehr. Regierungsfahrzeuge der Ministerien, Polizei und Feuerwehr brausten immer noch zum Brandort. Nur die ersten Presseleute fuhren schon zurück zu ihren Redaktionen. Das Gebiet um den Reichstag war großräumig abgesperrt worden. Wer vom Alex kam, dem blieb als letzte Möglichkeit, in der Wilhelmstraße in nördlicher oder südlicher Richtung abzubiegen. Zwischen den offiziellen Fahrzeugen drängten sich Privatwagen mit Neugierigen. Daß der Reichstag in Flammen stand, hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes in Brandeseile in der Hauptstadt herumgesprochen. Um den fließenden Verkehr nicht zu behindern, hatte der Finne halb auf dem Bürgersteig geparkt.
    Karl öffnete die Beifahrertür. »Alles klar?«
    »Alles klar. Schöne Bescherung mit dem Reichstag!«
    »Das kann man laut sagen!« Er gab dem Taxifahrer den Hundert-Mark-Schein. »Mit uns bleibt es wie abgesprochen?«
    »Ich rühre mich keinen Millimeter von der Stelle, bis Sie mich anfordern. Falls die Bullen was wollen, täusche ich eine Panne vor.«
    Vor dem Taxi scherte ein Auto ein und hielt. Es war der graue DKW.
    »Also bis später«, sagte Karl.
    Bernhard Weiß entstieg dem Wagen. Der DKW setzte den Blinker und fuhr davon. Der Berliner Ex-Vizepolizeipräsident hatte die rechte Hand in der Manteltasche, unter dem linken Arm klemmte die dunkelgrüne Wildlederaktentasche. Er drehte sich zu Karl um.
    »Herr Meunier?«
    »Ja. Herr Adlon bittet Sie, mir zu folgen. Ich werde Sie in Ihr Appartement geleiten, Herr Weiß.«
    Die Portierloge vom Wirtschaftseingang war um diese Stunde nicht mehr besetzt. Karl benutzte den Generalschlüssel.
    Bernhard Weiß hatte sich den Lippenbart abrasiert und den Hut ins Gesicht geschoben.
    ›Wer ihn so sieht, wird ihn dennoch ohne weiteres erkennen‹, dachte Karl. Bernhard Weiß’ markantes Profil hatte Der Stürmer zur Genüge karikiert.
    Sie erreichten das Appartement, ohne jemanden auf den Gängen und Treppenhäusern zu treffen. Karl hatte diverse Umwege sowohl durch das Kellergeschoß als auch über den Dachboden gewählt, um ins erste Stockwerk zu gelangen.
    Bernhard Weiß warf die Aktentasche auf das Bett und zog einen kurzläufigen Revolver aus der Manteltasche. Er legte ihn auf den Nachttisch.
    »Haben Sie gedient, Herr Meunier?«
    »Ich war Oberleutnant im ersten Garde-Feldartillerie-Regiment.«
    »Ich war Rittmeister bei den Ulanen.« Seine Gesichtszüge wurden starr. »Es ist eine Schande, daß das Reich vor einem

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