Unter den Linden Nummer Eins
bissiger. Als Heß weitere Boykottaktionen gegen die großen jüdischen Kaufhäuser verbot – nicht aus Menschenfreundlichkeit, Heß fürchtete lediglich um die Arbeitsplätze der arischen Beschäftigten –, schrieb er: »Deutsche dürfen wieder bei Deutschen kaufen!«
Eines Tages erschienen zwei Männer in langen schwarzen Ledermänteln und geleiteten ihn zum Flugplatz Tempelhof. Sie hatten ihm genau eine Stunde Zeit gegeben, um seine Sachen zu packen und die Hotelrechnung zu begleichen.
Randhuber arbeitete tatkräftig daran mit, daß die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft zustande kam. Wieder einmal sah das Adlon die crème de la crème aus Industrie und Hochfinanz. Holtsen, der eine Delegation schwedischer Bankiers anführte, wurde von Randhuber dem Reichswirtschaftsminister Schmitt vorgestellt. Kellermeister Obier verbuchte den höchsten Champagnerumsatz seit der Machtergreifung. Karl gewöhnte sich nur widerstrebend an die wortkargen, gutangezogenen Herren, die bei den Veranstaltungen überall im Haus herumschnüffelten. Der Begleiter der Rothaarigen tauchte nur noch selten auf. Er schien der Führungsoffizier der Sicherheitsleute zu sein. Karl beobachtete, daß die Männer, wenn keine Hotelgäste oder Angestellte in der Nähe waren, vor ihm die Hacken zusammenschlugen.
Das Adlon eröffnete einen Sommergarten zum Pariser Platz hin. Eine Barriere aus Blumenständern trennte die Tische von den Passanten. Der Generaldirektor versprach sich Pariser Flair. Aber zu seinem Leidwesen stellten sich nicht die dazu passenden Gäste ein. Hatten früher kaiserliche Gardeleutnants ihre glänzenden Schaftstiefel lässig auf den schmiedeeisernen Ketten vor dem Kranzler zur Schau gestellt, so waren es jetzt SS-Offiziere, die ihren Corso durch das Machtzentrum des Dritten Reichs an lauen Sommerabenden mit Blick auf das Brandenburger Tor beendeten.
Glücklicherweise erinnerte sich der Magistrat der Stadt daran, daß das Ensemble des Platzes eigentlich unter Denkmalschutz stand. Der Sommergarten störe das preußische Erscheinungsbild der Anlage, wurde Louis Adlon mitgeteilt, die Sommerterrasse wurde bereitwilligst wieder geschlossen.
Kammern – Karl hatte es aufgegeben, sie zu zählen: Reichskulturkammer, Reichspressekammer, Reichsrundfunkkammer, Reichsmusikkammer, Reichsschrifttumskammer, Reichskammer der bildenden Künste und Reichstheaterkammer; zur letzten gehörten auch die Artisten.
Vera zeigte Karl empört ein Rundschreiben vom Reichsverband der deutschen Artistik: » Die Direktoren sind verantwortlich dafür, daß Ausländer-Beschäftigung in angemessenen Grenzen bleibt und deutsche Artisten auskömmlich beschäftigt werden. Wiederholte Verstöße gegen diesen Grundsatz können zur Konzessionsentziehung führen! «
»Also in Zukunft stehen bloß noch deutsche Neger und Chinesen auf der Bühne!« sagte Karl. »Trefflich! Das wird einer dann dringend benötigten Reichsschminkekammer immense Wichtigkeit bescheren!«
Kassner ließ sich nur noch selten im Oriental blicken. Wenn er kam, war er stets in Begleitung der Rothaarigen. Karl hatte Benno gefragt, wen sie am Abend des Reichstagsbrandes beobachtet haben könnte.
»Det war dieser Schmierfink aus’m Angriff . Doktor P. Dinkel. Rosi nennt ihn nur noch Doktor Pinkel. Er mimt uff Herrenreiter, Monokel und so weiter. Neulich war er sojar mit Röhm bei uns. Sach mal, Karl, die Brüder sind doch andersrum!«
»Wieso?«
»Na, wennste jesehn hättst, wie se den Roberto anjeglubscht haben!« Der italienische Barmixer vom Oriental war der Schwarm aller Homosexuellen rund um die Kurfürstendamm-Gegend.
»War Kassner da?«
»Nee. Und wenner kommt, det is wie jesacht selten jeworden, denn macht er neuerdings ’n Bogen um die SA-Häuptlinge, is mir uffjefallen. Komisch, wa?«
»Um die SS macht er keinen«, sagte Karl. »Im Adlon sind jetzt oft Vortragsveranstaltungen vom Außenpolitischen Amt. Da wimmelt es nur so von den schwarzen Heinis. Kassner scheint viele von ihnen gut zu kennen. Himmler hat ihn neulich sogar mit Namen angesprochen.«
»Wenn de so erzählst, Karl, könnte man meenen, ihr werdet langsam ’n zweeter Kaiserhof .«
»So schlimm ist es noch nicht. Aber solche Veranstaltungen auszuschlagen wäre für L. A. gleichbedeutend mit finanziellem Selbstmord. Randhuber hat das höflich, aber unmißverständlich zu verstehen gegeben: » Wir wollen doch alle, Herr Adlon, daß Ihr Haus eine erste Adresse bleibt! «
»Ruella kriegt ooch schon langsam
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