Unter den Linden Nummer Eins
Daumen hinter sich. »Se sitzen nich mehr anner Bar. Rosi bedient se jetz.«
»Rosi soll mal die Ohren spitzen, was sie plaudern.«
Benno nickte und verschwand. Karl trat an den Rinnstein. Der Begleiter der Rothaarigen war nicht mehr vor dem Herrenausstatter, dafür brannte das Standlicht des Mercedes.
Benno kam zurück. »Rosi meent, die würden nich mehr lange bleiben, hätten wat vonner Bootspartie im Mondschein uff’m Wannsee geplappert.«
» Was? «
»Hast schon richtich jehört: Se wolln jleich ’ne Kahnfahrt machen!«
Karl schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich versteh die Welt nicht mehr, da ist doch etwas oberfaul, Gestapo und Mondscheinromantik! – Na, das seh ich mir an! Willst du mit, Benno? Ich fahre denen hinterher.«
»Findste det nich ’n bißchen heiß, ausjerechnet die Jestapo zu beschatten?«
»Bei den vielen Autos, die noch unterwegs sind?«
»Hm, det is ’n Arjument. Ick komm mit. Ick sach bloß schnell Berta Bescheid, daß ick mit dir zum Adlon ’nen Jast abholen bin. Bloß, falls der Alte frächt.«
Als Dinkel, Kassner und die Rothaarige in den Mercedes stiegen, endeten gerade die Spätvorstellungen in den Lichtspielhäusern am Kurfürstendamm und am Zoo. Karl ließ einen Hanomag und einen Horch zwischen sich und den Mercedes. Ab Halensee nahm der Verkehr etwas ab. Karl vergrößerte den Abstand. In der Königsallee war wieder mehr Betrieb auf der Straße.
»Warum fahren die eigentlich nicht über die Avus, wenn sie nach Wannsee wollen?«
»Morjen is Motorradrennen, da sperrn se immer schon am Vorabend.«
Ein kleiner ausländischer Zweisitzer überholte sie auf der Havelchaussee. Karl klemmte sich dahinter. Der Zweisitzer wollte auch an dem Mercedes vorbei, aber der fuhr stur in der Straßenmitte. Karl war es recht. Im Kronprinzessinnenweg herrschte wegen der Avus-Umleitung starker Gegenverkehr. Ungewöhnlich viele Polizeilastwagen fuhren nach Berlin.
»Die kommen doch nicht wegen des Motorradrennens!«
Benno grinste. »Vielleicht brennt zur Abwechslung det Propajandaministerium.«
Am S-Bahnhof Wannsee bog der Mercedes nach rechts ab. Als Karl die Straßeneinmündung erreichte, sah er gerade noch die Rücklichter in einer Grundstückseinfahrt verschwinden. Im hinteren Teil des Geländes stand eine mehrstöckige Villa.
Benno schaute zum Straßenschild hoch. » Am Sandwerder . Det sind allet Wasserjrundstücke. Fahr mal in die Straße rin. Möchlich, dasset irjendwo ’nen Pfad runter zum See jibt.«
Knapp fünfzig Meter weiter gab es zwischen dem See und der Straße einen Streifen, wo man Bäume gefällt hatte. Auch hatte man damit begonnen, eine Baugrube auszuheben.
Hier entsteht demnächst ein HJ-Horst!
Karl lenkte den Opel vorsichtig rückwärts hinter einen mannshohen Sandhaufen. Benno wies ihn ein. In der Baugrube gluckerte Grundwasser.
Ein schwankender Bootssteg mit einem wenig vertrauenerweckenden Holzgeländer ragte weit in den See. Am Stegende schaukelte eine winzige überdachte Hütte auf Eisenpontons. Ein rostiges Vorhängeschloß bot kein nennenswertes Hindernis.
Benno schnippte sein Feuerzeug an, schirmte die Flamme mit der Handfläche ab. In der Hütte stand eine Bank und eine ebenfalls durch ein Vorhängeschloß gesicherte Kiste, vermutlich mit Angelzeug. Eine fleckige, mit Reißzwecken auf die Kiste gepinnte Papptafel erläuterte die Süßwasserfische Nordeuropas . Die Fensteröffnungen waren unverglast.
Ein Ausflugsdampfer glitt Richtung Schwanenwerder, eine Mondscheinpartie mit Tanzmusik, auf dem Oberdeck sich drehende Paare. Zigeunerhafte Melodiefetzen wehten herüber.
Das Grundstück, auf das der Mercedes gefahren war, hatte auch eine eigene Anlegestelle. Der Steg war beleuchtet. Ein schnittiges Motorboot lag an der Längsseite.
»Da sind se!« Benno stülpte die Messingkappe über das Feuerzeug.
»Wo ist die Frau?«
»Da kommt se! Se bringt ihnen wat! ’ne Flasche – als ob die noch nich jenuch im Oriental jetütert hätten!«
Die Männer bestiegen das Boot. Die Rothaarige blieb auf dem Steg zurück. Der »Chauffeur« trat hinter das Steuerrad, Kassner setzte sich neben ihn. Dinkel warf der Frau eine Kußhand zu und kletterte über die Windschutzscheibe auf das Vordeck. Dort klammerte er sich an einen Stummelmast und richtete sich auf. Als der Motor aufheulte, reckte er den Arm zum Deutschen Gruß.
Am anderen Seeufer begann ein Feuerwerk. Raketen mit farbigem Funkenschweif stiegen auf und zerplatzten fächerförmig über dem Wasser.
Das
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