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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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lästig.
    Wochen später sollte Augusto feststellen, dass seine Ehrlichkeit sich mehr als bezahlt machte. Nachdem er der freundlichen Verkäuferin, Senhorita Iacinta, die arg mitgenommene Speisekarte sowie das gewünschte Autogramm gebracht hatte, bestand sie darauf, ihn fortan gratis zu verpflegen. Augusto dankte es ihr, indem er ihr auch von anderen Berühmtheiten Autogramme brachte und sie mit internem Klatsch versorgte. Es war für beide Seiten eine perfekte Regelung, die sie keine nennenswerte Mühe kostete und für jeden nur Vorteile barg.
    Einen weiteren bizarren Auftrag erhielt Augusto schon am nächsten Tag: Er musste eine Perücke für die Studio-Diva abholen. Iolanda Marcos gingen nämlich büschelweise die Haare aus. Die Krankheit nannte sich »kreisrunder Haarausfall«, und es war ziemlich scheußlich anzusehen, wie sich auf dem schönen Kopf von Dona Iolanda lauter runde kahle Stellen zeigten. Bisher war es der Maskenbildnerin und gelernten Friseurin gelungen, die Schauspielerin so zu frisieren, dass die Löcher nicht zu sehen waren. Aber mittlerweile war einfach nicht mehr genug eigenes Haar vorhanden, um damit die nackten Stellen zu verdecken, und man konnte die Mimin ja auch nicht endlos mit Hut oder Tuch herumlaufen lassen.
    »Augusto, fahr doch mal eben die Perücke abholen. Die Frau hat gesagt, sie sei heute fertig damit.«
    »Tudo bem«,
sagte er, sein Standardspruch, wenn er sich seine Befremdung oder seine Zweifel nicht anmerken lassen wollte. »Muss ich das gute Stück bezahlen?«
    »Nein, sie soll mir eine Rechnung schicken.«
    »Ich weiß nicht, Dona Iolanda. Vielleicht rückt sie die Perücke nicht raus, wenn ein fremder Bursche daherkommt und sie, ohne zu bezahlen, mitnehmen will.«
    »Herrgott, Augusto! Fahr einfach, ja? Ich bin Iolanda Marcos, schon vergessen? Sie verehrt mich. Und dass ich nicht selber gehen kann, ist doch wohl offensichtlich.«
    Also radelte Augusto zu der Perückenmacherin in der Rua da Quitanda. Ihr Atelier lag im ersten Stock eines halb verfallenen Gebäudes aus der Kolonialzeit, das bei den städtebaulichen »Säuberungsaktionen« des Präfekten irgendwie übersehen worden war. Er stapfte die morsche Treppe hinauf und klopfte an der Tür, von der die Farbe abblätterte und an der ein winziges Schild ihm sagte, dass er hier richtig war. Er konnte es kaum glauben. Doch als er eingelassen wurde, staunte er nicht schlecht. Das Atelier war hell, ordentlich und frisch renoviert. Der Geruch der Wandfarbe hing noch in der Luft. Am erstaunlichsten aber waren die vielen Regale, alle mit Holzköpfen gefüllt, die als Perückenständer dienten. So etwas hatte er noch nie gesehen. Da gab es alle Arten von Perücken, blondes, braunes, rotes und schwarzes Haar, glattes, welliges, kurzes und langes. Es gab Herrentoupets und Damenperücken, wilde Mähnen und konservative Hochsteckfrisuren. Auch Haarteile wie einzelne Strähnen oder Locken sah er, die die Frauen wahrscheinlich unter ihr eigenes Haar mogeln konnten. Er hatte nicht gewusst, dass es so etwas überhaupt gab, ganz zu schweigen von dieser Vielfalt.
    »Sie wünschen?«, fragte ihn die Perückenmacherin lächelnd. Sie war dieses Staunen wahrscheinlich gewohnt.
    »Ich soll für Dona Iolanda Marcos eine Perücke abholen.«
    »Ah«, sagte die Frau und verschwand in einem angrenzenden Raum. Durch die halboffene Tür sah Augusto, dass es sich um die Werkstatt handeln musste. Alle möglichen Perücken in verschiedenen Stadien der Fertigstellung lagen oder standen auf Köpfen herum. Auf dem großen Arbeitstisch sah er außerdem eine Reihe von Werkzeugen, Schlingen, Haken, Pinzetten.
    Die Frau kehrte mit einer Perücke zurück, die sie auf eine Hand gesetzt hatte. Es sah ein bisschen gruselig aus, wie dieser schöne Haarschopf so leblos auf der Hand baumelte. »Gerade heute Morgen bin ich damit fertig geworden!«
    »Na, so ein Glück. Dona Iolanda würde mich erwürgen, wenn ich ohne zurückkäme.« Er betrachtete die Perücke skeptisch. Es handelte sich um eine hellblonde Kurzhaarfrisur, wie sie derzeit in Mode war, mit einem Pony, der bis zu den Augenbrauen reichen musste, wenn er nicht gerade auf einer Hand tanzte, und kinnlangem, schnurgeradem Haar. »Sind Sie sicher, dass das die Bestellung von Dona Iolanda ist?«
    Die Frau lachte. »Ja, ich bin mir sicher. Die Dame wünschte sich eine kleine Veränderung.«
    Eine kleine Veränderung? Iolanda Marcos war brünett und hatte gelocktes Haar. Aber gut – wer war er, dass er diese

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