Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
endlich diese Speisekarte.«
    Welche Speisekarte?, fragte Augusto sich. Er hatte irgendetwas Entscheidendes nicht mitbekommen.
    »Und sieh zu, dass es nicht so ein wabbeliges Papierding ist, sondern eine hübsche, mit Ledereinband. Geh am besten gleich in die Rua Gonçalves Dias und frag in der Confeitaria Colombo. Wenn sie dir keine geben, klau eine. Oder nein, hier, kauf ihnen eine ab.« Damit reichte Fernando Pereira dem Laufburschen eine 100 -Réis-Münze, mit der man gerade mal ein Brötchen erstehen konnte.
    »Tudo bem«,
sagte er – alles klar. »Bin schon unterwegs.« Zumindest hatte er jetzt eine grobe Vorstellung von seinem Auftrag. Die Speisekarte schienen sie für eine Szene zu brauchen, die in einem Restaurant spielte.
    Augusto nahm sich das klapprige Studio-Fahrrad, das in der dunklen Hofeinfahrt lehnte, und machte sich auf den Weg. Er genoss die Fahrt durch die Stadt. Das Wetter war ideal zum Radeln, warm und trocken. Er passierte ein Café, das nicht ganz so berühmt – und nicht ganz so fein – war wie jenes, zu dem der
patrão
ihn geschickt hatte, und beschloss, dass er es hier ebenso gut versuchen konnte. Wofür die weite Strecke in die Innenstadt zur Confeitaria Colombo zurücklegen, wo die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn hinauswarf, höher war als die, dass er eine Karte bekam? In dieser Gegend hier ging es weitaus weniger feudal zu, und man würde ihn nicht gleich wie einen räudigen Hund behandeln.
    Er stieg vom Fahrrad ab und lehnte es an die Schaufensterscheibe der Konditorei, damit er es im Blick hatte und einen Dieb sofort erwischen würde. Im Innern des Cafés war es gemütlich. Der gläserne Tresen war gefüllt mit unzähligen Leckereien, süßen wie salzigen, und Augusto lief das Wasser im Mund zusammen. Es duftete intensiv nach frischem Kaffee, und er verspürte große Lust, sich an einen der kleinen Tische zu setzen und sich einen Imbiss zu gönnen. Er sah, dass dort schöne, dick wattierte, lederne Speisekarten mit Goldprägung auslagen. Perfekt. Als die Kunden vor ihm ihren Einkauf beendet hatten, widmete die dicke Verkäuferin sich ihm.
    »Sie wünschen?«, fragte sie freundlich.
    Das war schon einmal ein gutes Zeichen. Augusto beschloss, dass er es am besten mit der Wahrheit versuchte.
    »Können Sie mir eine Speisekarte ausleihen?«
    »Bitte?«
    »Eine Speisekarte. Ich komme von den Studios Pereira, drei Straßen weiter.«
    »Kenne ich nicht.«
    »Aber bestimmt kennen Sie Bela Bel? Der Film, in dem sie ihren lustigen Auftritt hatte, wurde bei uns gedreht.«
    Die Augen der Verkäuferin leuchteten auf. »Aber ja, die kenne ich. Aber … was hat das nun mit der Speisekarte zu tun?«
    »Wir brauchen eine, die so schön ist wie Ihre hier, für einen neuen Film. Die Karte käme also gewissermaßen ins Kino. Und zwar …«
    »Können Sie sich nicht kurz fassen, junger Mann?«, schimpfte eine Matrone, die hinter ihm aufgetaucht war und offenbar sehr ungeduldig war, eines der süßen Törtchen zu verspeisen.
    »Verzeihung, Senhora«, entschuldigte er sich bei der Frau, um sich dann wieder der Verkäuferin zuzuwenden. »Bedienen Sie ruhig erst die Dame, ich warte.«
    Als die Frau mit ihrer Beute von dannen zog, sagte Augusto: »Also, die Karte käme nicht nur ins Kino, sondern sie käme auch in die Hände des großen Mimen Octávio Osório, der in dem Film die männliche Hauptrolle spielt.«
    Die Verkäuferin stieß ein spitzes Quieken aus. »Den kenne ich. Er ist einfach göttlich!«
    »Ja, das ist er«, bestätigte Augusto, obwohl er den eingebildeten Schauspieler mit der Mäusestimme nicht ausstehen konnte. Aber das würde er dieser Frau gewiss nicht verraten.
    »Sie binden mir doch keinen Bären auf, junger Mann? Diese Geschichte ist wirklich sehr sonderbar. Andererseits frage ich mich, wofür Sie sonst eine Speisekarte bräuchten. Also von mir aus, nehmen Sie sich eine mit. Aber bringen Sie sie mir zurück, ja?«
    Augusto bedankte sich überschwenglich, versprach hoch und heilig, dass er die Karte bald zurückbringen würde, und kramte dann nach der Münze, die Pereira ihm gegeben hatte. »Bekomme ich bei Ihnen für 100 Réis irgendetwas?«
    »Was darf’s denn sein? Suchen Sie sich aus, worauf Sie Lust haben. Aber dann bringen Sie mir auch noch ein Autogramm von Octávio Osório.«
    Augusto radelte zurück und fragte sich, ob das nun die Sache wert gewesen war. Er müsste später noch einmal herkommen, denn üblicherweise hielt er sich an gegebene Versprechen. Das war

Weitere Kostenlose Bücher