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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Wortsinn erhebend, wie immer. Nachdem er an Höhe gewonnen hatte, drehte er in Richtung Süden bei. Unter ihm erstreckte sich ein Postkarten-Rio, dessen Prachtgebäude – das Teatro Municipal, die Biblioteca Nacional, der Palácio Munroe – von der aufgehenden Sonne angestrahlt wurden. Schnell hatte er die Innenstadt hinter sich gelassen und drehte leicht nach West. Er sah die Lagoa, den Jardim Botánico und das Hipódromo klar und in allen Details, als befinde er sich nicht in 800 , sondern höchstens in 100  Meter Höhe. Kurz vor den Doppelbergen Dois Irmãos, die das Ende des Strandes von Ipanema beziehungsweise Leblon markierten, wie man das noch unbebaute Gebiet nannte, flog er aufs Meer hinaus. Er gewann schnell an Höhe, die kühle, trockene Luft war perfekt fürs Fliegen. Die Sicht war so klar, dass er sogar die malerischen Inseln vor Angra dos Reis auszumachen glaubte, die noch mehr als 100  Kilometer entfernt waren. Eine so geringe Luftfeuchtigkeit, und damit eine so wunderbare Fernsicht, hatte man in Rio äußerst selten.
    António nahm den raren Anblick staunend in sich auf. Ein bisschen übermütig von dem atemberaubenden Panorama gab er Gas und machte eine Rolle aufwärts, einen
loop.
Es war an sich keine sehr schwierig zu fliegende Figur, doch António wusste, dass sie bei gleichmäßiger Beschleunigung vom Boden aus wie ein Ei aussehen würde. Die Kunst bestand also darin, zum richtigen Zeitpunkt mehr Gas zu geben oder wegzunehmen. Auch der eigene Gleichgewichtssinn spielte einem beim
loop
einen Streich, denn als Pilot fühlte man sich nicht wie in einem Kreis, sondern wie beim Gleiten auf einer hohen Welle. Aber genau das war ja das Aufregende daran. Wäre die Belastung auf sein Flugzeug nicht so groß gewesen, hätte er den ganzen Tag Purzelbäume darin schlagen können.
    Dasselbe galt für die
stalls.
Ein Flugzeug bei einem Fall aus großer Höhe abzufangen bedeutete eine große Belastung für die Teile des Flugapparates, insbesondere die Tragflächen. Er musste seine Lust auf derartige Manöver also ein bisschen zügeln, wenn er wenige Tage vor seiner großen Reise nicht noch Schäden am Flugzeug riskieren wollte.
    Er checkte alle Geräte. Er befand sich auf einer Höhe von rund 1000  Metern, hoch genug also, um ein gezieltes seitliches Abkippen herbeizuführen und dann in einer noch immer sicheren Höhe aufzuhalten. Er zog die Nase des Flugzeugs behutsam hoch. Mehr Gas gab er dabei nicht, so dass er immer langsamer wurde. Ab einem bestimmten Punkt, wenn der Steigungswinkel zu hoch und die Geschwindigkeit zu gering waren, riss die Strömung an den Tragflächen ab. Und ohne die Strömung flog kein Flugzeug. Das Flugzeug kippte dann zur Seite und stürzte wie ein Stein nach unten. Das war besser als jedes noch so moderne Karussell! Es nahm einem den Atem und raubte einem die Orientierung. Was jedoch so gefährlich aussah, war im Grunde eine Standardübung für Anfänger. Denn um den Sturz abzufangen, musste man nichts weiter tun, als das Pedal fürs Seitenruder zu treten. Dann bewegte das Flugzeug sich schnell wieder in eine horizontale Lage, und man konnte weiterfliegen, als wenn nichts gewesen wäre. Genau das geschah jetzt. António stürzte mit dem Flieger in die Tiefe, jauchzte vor Begeisterung und hielt dann den Fall auf, wobei seine Innereien einen kleinen Hüpfer machten. Grandios!
    Er benötigte eine Sekunde, um sich zu orientieren – und bemerkte in diesem kurzen Moment nicht den Möwenschwarm, der genau auf ihn zukam. Er hörte einen schrillen Schrei, das Zerbersten von Glas, das Splittern von Holz. Dann sah er die Oberfläche des Meers auf sich zurasen. Hieß es nicht, im Angesicht des Todes sähe man noch einmal sein ganzes Leben an sich vorbeiziehen? António sah nichts dergleichen. Das Einzige, was er wahrnahm, waren Blut und Federn, die an seinem Armaturenbrett klebten, sowie die rasant sich rückwärts drehende Nadel des Höhenmessers. Und das Foto von Caro, das nun mit ihm zusammen kopfüber ins Wasser brauste. Er schlug schwer auf. Dann sah und hörte er gar nichts mehr.
     
    António hatte Glück im Unglück. Weil er so früh am Morgen unterwegs gewesen war, hatten sich Fischer in der Nähe aufgehalten. Sie hatten die Kunststücke, die er am Himmel vollführte, gespannt beobachtet, und es hatte sie nicht sonderlich erstaunt, dass das Flugzeug daraufhin abgestürzt war. Dass ein paar Vögel es zum Absturz gebracht hatten und nicht etwa die waghalsigen Manöver, wussten

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