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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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auftreten konnten. Bestimmt wären seine Erinnerungen an die vergangenen 14 Tage bald wieder vollständig da. Ja, ganz sicher. Er musste nur die Zeit bis dahin überbrücken, ohne dass jemand etwas merkte.
    Das jedoch erwies sich als schwierig. Denn noch während seine Eltern und die Ärzte vor seiner Tür debattierten, traten zwei Männer in Uniform ein. Man hatte eine Kommission eingesetzt, die den Vorfall untersuchen sollte, hieß es. Die beiden stellten Fragen über Fragen, und nicht eine davon konnte António beantworten.
    »Man hat Sie dabei beobachtet, wie Sie Loopings geflogen sind«, sagte der Wortführer der beiden.
    »Ach ja?«, sagte António, dankbar für den Hinweis, der auch ihm selber vielleicht Aufschluss über den Hergang des Unfalls geben konnte.
    »Ja. Und man hat uns beschrieben, Sie seien aus großer Höhe herabgefallen wie ein Stein, hätten das Flugzeug aber kurz vor dem Auftreffen auf der Wasseroberfläche wieder in eine horizontale Lage bringen können.«
    »Ja, das nennt man einen
stall.
Jeder Pilot muss das gelegentlich üben«, meinte António. Soso. Er war wohl ein wenig übermütig gewesen an diesem Tag, dachte er bei sich.
    »Aber nicht jeder Pilot stürzt dabei ab«, sagte der Polizist stirnrunzelnd.
    »Nein.«
    »Also? Was ist passiert?«
    »Ich …«
    »Es reicht jetzt. Mein Patient braucht Ruhe«, platzte Doutor de Barros in diesem Moment herein. »Sie dürfen morgen wiederkommen und ihn für zehn Minuten befragen. So dringend ist es doch wohl nicht, als dass die Genesung Senhor Carvalhos darunter leiden müsste, nicht wahr? Außer ihm ist ja niemand zu Schaden gekommen.«
    Selten war António über das Auftauchen eines Weißkittels so erfreut gewesen. Der Arzt scheuchte die beiden Polizisten hinaus, um dann zu den wartenden Eltern und dem deutschen Professor zu sagen: »Fünf Minuten«, und ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
    »So, mein lieber Senhor Carvalho«, begann João Henrique de Barros, bevor er ihm minutiös auseinandersetzte, welche Heilungschancen es gab und wie man sein Bein vielleicht retten konnte. »Aber das setzt voraus, dass Sie sich genau an meine Anweisungen halten. Und wenn ich sage ›genau‹, meine ich das auch. Ihre Mitarbeit ist von entscheidender Bedeutung. Wenn Sie also dazu bereit sind, habe ich etwas für Sie. Eine Art Belohnung oder Geschenk, wenn Sie so wollen. Die Fischer, die Sie gerettet haben, haben es gefunden. Es wurde mit Ihnen zusammen hier im Krankenhaus eingeliefert.« Damit wedelte er mit einem welligen Stück Papier vor Antónios Nase herum.
    Es dauerte einen Augenblick, bevor António es erkennen konnte.
    Es war das Foto von Caro in Pilotenmontur.
    António schluckte schwer und blinzelte ein paarmal, um die Nässe in seinen Augen zurückzudrängen. Hatte Caro mit ihm in dem Flugzeug gesessen?

23
    M aries Brief kam am selben Tag an wie die Schreiberin selber, nur wenige Stunden vorher. Er hatte Wochen gebraucht und sah entsprechend abgegriffen aus. Das Kuvert hatte Eselsohren, die Tinte auf dem Adressfeld war verwischt und die Briefmarke halb abgelöst.
    Ana Carolina betrachtete ihn von allen Seiten. Sie liebte solche Umschläge, denen man ihre weite Reise ansah, und natürlich liebte sie es noch mehr, Post aus anderen Ländern zu erhalten.
     
    Meine liebe Cousine,
    da muss man Tausende von Kilometern reisen, nur um festzustellen, dass es kaum anders als zu Hause ist. Buenos Aires ist viel europäischer, um nicht zu sagen zivilisierter als Rio de Janeiro. Das ist einerseits ganz angenehm, da es uns leichter fällt, uns an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen. Es ist aber auch ein wenig enttäuschend, denn am anderen Ende der Welt hätte man doch lieber etwas mehr Exotik vorgefunden. Aber gut, ich will Dich mit meinen lächerlichen Klagen nicht lange belästigen. Das Schöne überwiegt sowieso. Die Männer sind heißblütig und sehr, sehr gutaussehend – die Frauen leider auch. Überall wird Tango getanzt, es ist herrlich! Maurice und ich haben uns ein wenig daran versucht, aber es ist schwieriger, als es aussieht. Die Argentinier belächeln uns, aber ich glaube, sie finden unsere Versuche auch irgendwie anrührend. In Sachen Mode und Lebensart sind die Argentinier euch Brasilianern um einiges voraus, und ich habe die Theorie entwickelt, dass das am Klima liegen muss. Je kühler es ist, desto mehr erhitzt sich die Phantasie der Menschen (poetisch, nicht? Ich sollte Dichterin werden). Es ist nämlich ziemlich ungemütlich

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