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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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das ist ein Verbrechen.«
    Sie sah ihn zweifelnd an. Begriff er denn nicht, dass eine Sängerin mit dunkler Hautfarbe niemals recht bekommen würde? Nicht, wenn die Angreifer Weiße waren, die Macht und Geld hatten. »Bring mich nach Hause, Augusto. Ich will einfach nur nach Hause.«
     
    Henrique fühlte sich schuldig. Er war ein Schlappschwanz, genau das war er. Wie hatte er nur so feige sein können? Wie hatte er diesem Treiben bloß zusehen können? Es war schrecklich, was sie dem armen Mädchen angetan hatten. Wie die Tiere waren sein Auftraggeber und seine Kollegen über die Kleine hergefallen, und dann hatten sie sie blutend und zutiefst gedemütigt einfach auf dem Boden liegen lassen wie einen alten Putzlumpen.
    Was sollte er nun tun? Gegen sich selber und die anderen Anzeige erstatten? Auf der Wache würde man ihn wahrscheinlich verspotten und ihm sagen, dass keine Straftat vorlag, solange das Opfer des Übergriffs nichts unternahm. Im Übrigen wäre es das Ende seiner Karriere. Kein Bauherr würde ihn mehr engagieren, wenn bekannt wurde, dass er seinen Brötchengebern gegenüber nicht hundertprozentig loyal war. Man hielt zusammen, im Guten wie im Schlechten. Und wenn erst Ana Carolina und Dona Vitória von seinem schändlichen Verhalten erfuhren! Er wäre auf alle Zeit bei ihnen als Vergewaltiger gebrandmarkt, ob er sich nun selber an dem Mädchen vergriffen hatte oder nicht.
    Und wie sollte er Senhor Passos in Zukunft gegenübertreten? Das Beste wäre, er würde dem aktuellen Projekt sowie allen Plänen für künftige Kooperationen ein sofortiges Ende setzen. Er würde dem Mann nie wieder in die Augen sehen können, ohne an diese scheußliche Episode zu denken. Aber wie sollte er eine Familie ernähren, wenn er lukrative Aufträge einfach ausschlug? Und wie sollte er seine Ablehnung begründen? Er konnte doch nicht zu Passos gehen und ihm sagen, dass er aufgrund des Vorfalls die Zusammenarbeit beenden wolle. Damit stellte er seine eigene moralische Überlegenheit zur Schau, und das wiederum war etwas, das Passos sich nicht bieten lassen konnte. Er würde dafür sorgen, dass Henrique in der Stadt überhaupt keinen Auftrag mehr erhielt, weder von ihm noch von einem anderen großen Bauunternehmer.
    Wie er es auch drehte und wendete – Henrique kam immer zu dem Schluss, dass es wohl für alle Beteiligten das Beste war, Stillschweigen zu bewahren. Er würde eine Lehre aus dem Vorfall ziehen und nie wieder mit Senhor Passos oder einem anderen Auftraggeber ausgehen. Er würde versuchen, das Geschehene zu vergessen. Und er nahm sich vor, in Zukunft mehr Zivilcourage zu zeigen.
    Kurz flackerte die Idee in seinem Kopf auf, er könne sich bei dem Mädchen entschuldigen oder ihr eine Art Entschädigung zukommen lassen. Aber nein – das wäre ja ein Schuldeingeständnis, aus dem sie ihm am Ende noch einen Strick drehen konnte. Lieber nicht.
    Abhaken.
    Vergessen.

25
    E s hatte in der Zeitung gestanden: António Carvalho war mit seinem Flugzeug vor der Barra de Guaratiba abgestürzt und hatte dank eines in der Nähe liegenden Fischerbootes lebendig aus den Trümmern befreit werden können. Nun lag er im Hospital und genas von seinen schweren Blessuren.
    Vitória war erleichtert und erschrocken zugleich. Erleichtert, weil dieser Mann bis zur Hochzeit wohl kaum noch eine Gefahr darstellte, und erschrocken, weil es bedeutete, dass er nicht etwa aus vernünftigen Überlegungen heraus aufgehört hatte, Briefe an Ana Carolina zu schreiben, sondern weil er im Krankenhaus lag.
    Dieser Umstand lieferte Vitória zugleich den idealen Vorwand, ihren ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen: Sie würde diesem António einen Brief schreiben, in dem sie sich als ihre Tochter ausgab und in dem sie dem Mann klarmachte, dass all seine Bemühungen vergebens waren. Dass er an ihrer Handschrift die Täuschung bemerken würde, glaubte sie nicht. Zum einen ähnelte Ana Carolinas Schrift der ihren sehr; zum anderen bezweifelte sie, dass Ana Carolina ihm oft oder überhaupt jemals geschrieben hatte.
     
    António,
    es tat mir schrecklich leid zu hören, was Dir widerfahren ist. Ich bete, dass Du von den Verletzungen vollständig genesen wirst und bald wieder fliegen kannst. Ich hoffe aber auch, dass Du den Krankenhausaufenthalt ebenfalls dazu nutzen wirst, in Dich zu gehen und darüber nachzudenken, was Dein hartnäckiges Werben in unser aller Leben anrichtet. Bitte hör auf damit! Es wäre für Henrique, für mich, für unsere Familien

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