Unter den Sternen von Rio
und dehnte zunächst den Fuß, bis António die Schweißperlen aufs Gesicht traten.
»Sehen Sie, es ist alles andere als lustig. Aber Sie halten sich gut, junger Mann. Alle Achtung.« Dann legte der Arzt eine Hand unter Antónios Kniekehle und hob mit der anderen den Unterschenkel an. Er bewegte ihn vor und zurück, nach rechts und nach links, ließ ihn kreisen, streckte ihn, zog daran, stauchte ihn, kurz, er brachte ihn in jede nur erdenkliche Position. Manchmal runzelte er dabei die Stirn, manchmal forderte er seinen sichtlich erschöpften Patienten barsch auf, gefälligst durchzuhalten.
So ging es mehrere Tage lang. Irgendwann schien es nur noch die Krankengymnastik zu sein, die Antónios Aufenthalt im Krankenhaus erforderlich machte. Alle anderen Verletzungen waren gut verheilt, und die Tabletten gegen seine dauernden Kopfschmerzen konnte er ja auch zu Hause nehmen.
»Ich verlasse Sie«, teilte er de Barros mit.
»Aber Sie machen gerade jetzt gute Fortschritte.«
»Das stimmt. Aber ich kann ja regelmäßig zur Gymnastik herkommen – sagen wir, täglich eine Stunde?«
»Ich verstehe Sie nicht. Hier sind Sie in den besten Händen, müssen sich um nichts kümmern und haben die beste medizinische Versorgung.«
»Zu Hause muss ich mich ebenfalls um nichts kümmern und bekomme endlich wieder genießbares Essen. Außerdem denke ich, dass mir meine eigenen vier Wände auch seelisch gut bekommen werden. Ich fühle mich da sicher weniger krank als in dieser Umgebung hier.«
»Sie machen einen Fehler«, unkte der Doktor mit grimmigem Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich rechnete er bereits durch, welche Einnahmen ihm durch die Lappen gingen, wenn er den reichen Patienten verlor.
»Sehen Sie, das ist auch so etwas, was zu Hause besser ist: Niemand behandelt einen wie ein unmündiges Kind. Das, mein lieber Doutor de Barros, macht nämlich auf Dauer auch ganz elend.«
»Ich übernehme keinerlei Verantwortung.«
»Wie gut! Es ist sowieso allerhöchste Zeit, dass ich wieder selber die Verantwortung für mein Leben übernehme.«
Der Arzt schüttelte missbilligend den Kopf, als er vorschlug: »Täglich von elf bis zwölf Uhr?«
António nahm ein Taxi nach Hause, rief von dort Freunde und Verwandte an, damit die nicht umsonst zum Krankenhaus fuhren, und schickte den Portier gegen ein fürstliches Trinkgeld zu einem Restaurant in der Nähe, damit er ihm eine anständige Mahlzeit besorgte. Unterdessen öffnete er eine Flasche Wein, schob sich mühevoll einen Sessel ans Fenster und ließ sich ermattet, aber glücklich hineinfallen. Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte genüsslich. Ah, war das herrlich! Was gab es Schöneres, als auf den sonnenbeschienenen Zuckerhut zu schauen, ein gutes Glas Wein zu trinken und darauf zu warten, dass einem gleich jemand ein schmackhaftes Essen brachte, während man selber nichts Produktiveres tat, als Rauchkringel zu produzieren?
Bei einem der Rauchkringel tauchte plötzlich ein verschwommenes Bild in seinem Kopf auf, zu vage, um es richtig zu fassen zu bekommen, aber deutlich genug, um zu wissen, dass dies etwas aus seiner jüngeren Vergangenheit war. Er sah sich selbst, rauchend, an einem Bistrotisch voller Gläser und Flaschen und Eiskübel sitzen. Mehrere Personen saßen mit ihm am Tisch, aber weder konnte er ihre Gesichter erkennen, noch hätte er zu sagen gewusst, in welchem Lokal sie sich aufgehalten hatten.
War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Kam sein Gedächtnis, so wie der Arzt es ihm prophezeit hatte, in solch kleinen Erinnerungsschnipseln zurück? Aber was hatte diese Erinnerung für einen Wert, wenn das Wesentliche, nämlich die Menschen, fehlten? Er schloss die Augen und zwang sich, intensiv darüber nachzudenken, wann, wo und mit wem er in den Wochen vor seinem Absturz zusammen gewesen war. Nichts. Sosehr er sich auch anstrengte, sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Nur seine Kopfschmerzen wurden stärker.
Als der nette Portier ihm sein Essen brachte – ein einfaches, aber leckeres Gericht mit Rindfleisch, schwarzen Bohnen und Reis –, hatte António das Gefühl, sein Schädel würde platzen. Ihm war übel vor Schmerzen, und allein der Geruch des deftigen Essens verursachte ihm einen heftigen Würgreiz.
»Danke, Seu José«, brachte er hervor und hatte Mühe, freundlich zu bleiben.
»Gern geschehen, Seu António. Jederzeit wieder. Einen gesegneten Appetit dann auch«, sagte er und verzog sich.
Wenige Sekunden später erbrach António sich
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