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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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kleinsten Anlass begann sie zu weinen. Es war erbarmungswürdig. Und erschreckend. Obwohl Augusto die Ursache für diese eklatante Veränderung kannte, schien ihm doch das Ausmaß ihres Elends ein bisschen übertrieben. Sie musste sich zusammenreißen.
    »Ich gehe zu meinen Eltern zurück, Augusto«, überfiel sie ihn mit der Neuigkeit, kaum dass er eingetreten war.
    »Warum solltest du das tun? Du hast hier eine hübsche kleine Bleibe, du verdienst ordentliches Geld …«
    »Nicht mehr. Ich habe gekündigt.«
    »Was?! Warum zum Teufel?«
    »Das kannst du dir doch denken. Ich kann diese Männer nicht mehr ansehen, vor ihnen mit dem Hintern wackeln oder ihnen mein entblößtes Dekolleté zeigen. Ich kann einfach nicht.«
    »Aber du hast doch noch andere Einkünfte, von der Platte und so.«
    »Es ist sehr wenig, was Pereira mir auszahlt. Außerdem … fühle ich mich hier nicht mehr sicher.« Ihre Stimme zitterte bedenklich. Augusto fürchtete den Augenblick, in dem sie in Tränen ausbrach, ebenso sehr, wie er ihn herbeisehnte. Es gab ihm jedes Mal Gelegenheit, sie in den Arm zu nehmen, ihr den Kopf zu streicheln und ihr tröstende Worte zuzuflüstern. Es tat ihm in der Seele weh, seine starke Bel so schwach zu sehen, und doch gab es ihm gleichzeitig einen winzigen Hauch von Genugtuung, von Triumphgefühl, dass einmal er der starke Mann war, an dessen Schulter sie Schutz suchen konnte.
    »Meine Mutter hat von Anfang an recht gehabt«, murmelte Bel. »Ein liederlicher Lebenswandel führt zu nichts Gutem.«
    »Aber du führst doch gar kein liederliches Leben!«, empörte sich Augusto. »Du arbeitest hart, du trinkst nicht, und du hast keine dauernd wechselnden Liebhaber.«
    An dieser Stelle heulte Bel gequält auf, und Augusto hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Verdammt! So hatte er es doch nicht gemeint.
    »Ist doch egal. Ich gehe jedenfalls wieder zurück zu ihnen. Und dann erlerne ich einen anständigen Beruf. Vielleicht kann ich bei der Telefongesellschaft als Vermittlerin arbeiten – dafür muss man weiblich und ledig sein und eine angenehme Stimme haben. Wie findest du das? Kannst du dir mich als Fräulein vom Amt vorstellen? Die wichtigsten Voraussetzungen dafür bringe ich ja schon mal mit.« Ganz kurz flackerte in Bels Blick ein wenig von der alten Tatkraft und ihrem Enthusiasmus auf, Eigenschaften, für die Augusto sie immer bewundert hatte.
    »Warum nicht? Ich fände es aber schade. Deine Karriere als Sängerin hat so vielversprechend begonnen – es wäre eine Sünde, das einfach wegzuwerfen.«
    »Ich habe dich nicht um deinen Rat gefragt.«
    »Nein.« Gekränkt schaute Augusto sie an. Verstand sie denn nicht, dass er nur ihr Bestes wollte? Er wusste, wie wohl sie sich im Rampenlicht fühlte, wie leidenschaftlich gern sie tanzte und sang – damit konnte es wegen dieses einen hässlichen Vorfalls doch nicht auf immer und ewig vorbei sein.
    »Hast du mit deinen Eltern über … äh, das gesprochen, was passiert ist?«, fragte er sie.
    »Bist du verrückt geworden! Sie dürfen nichts davon wissen. Sie würden sich irgendwie, na ja, befleckt fühlen, und ich will nicht, dass meine Geschwister in dem Glauben leben, ihre große Schwester Bel sei ein verkommenes Flittchen.«
    »Aber das bist du doch gar nicht!« Es war zum Haareraufen. Augusto verstand nicht, wie Bels Bild von sich selbst solchen Schaden hatte nehmen können. Es war ein böses Verbrechen an ihr begangen worden, aber sie benahm sich gerade so, als sei sie die Verbrecherin.
    »Kommt doch nicht drauf an, was ich bin und was nicht. Ich werde ihnen erzählen, dass ich mich allein in der Stadt nicht sicher fühle, dass ich sie vermisst habe, was weiß ich. Ich glaube nicht, dass sie große Zweifel daran hegen werden. Die Leute glauben immer das, was sie glauben wollen.«
    Doch darin täuschte Bel sich.
     
    Felipe da Silva war mehr als beunruhigt, als er abends spät nach Hause kam und seine einst so strahlende Tochter mit hängenden Schultern in der Küche stehen sah, wo sie lustlos an einer Scheibe Brot herumknabberte.
    »Bel!«, rief er im ersten Moment, überrascht und hocherfreut. Doch als er genauer hinschaute, die Ringe unter ihren Augen und ihre verwahrloste Erscheinung sah, dachte er sofort, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen sein musste. »Was ist passiert? Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Sie tischte ihm ihre halbgare Geschichte auf, doch Felipe glaubte keine Sekunde daran. Niemals wäre Bel ohne besonderen Anlass

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