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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wünschen. Genesungswünsche! Und die in so liebloser Form, dass er auf einmal die Karte seines knochentrockenen alten Professors für ein Muster an Herzlichkeit hielt.
    Er las den kurzen Brief wieder und wieder, analysierte jedes noch so winzige Detail. Nur »António« hatte sie geschrieben, nicht einmal zu einem höflichen »Lieber António« hatte sie sich aufraffen können. »Ich bete« schrieb sie, »dass Du bald wieder fliegen kannst.« Was sollte das? Hätte sie nicht eher »hoffen« schreiben sollen? Beten passte so gar nicht zu ihr. Und diese Formulierung »wenn zwischen uns etwas erwachsen würde, das über Freundschaft hinausgeht« – das war doch längst passiert! Er wurde einfach nicht schlau aus diesem merkwürdigen Brief. Ihre Handschrift war weniger schnörkelig, als er es bei einer Frau ihres Alters erwartet hatte. Sie war stark nach rechts gebeugt und wirkte alles in allem ziemlich zackig. Die Schrift gefiel ihm, auch wenn er sie nicht so richtig mit der Schreiberin in Verbindung bringen konnte. Und dann, als Krönung des Briefs: »Ana Carolina«. Warum hatte sie nicht »Caro« geschrieben? Er hatte sie nie anders genannt, und es war schließlich der Name, mit dem sie selber sich ihm vorgestellt hatte.
    Nachdem er tagelang immer wieder den Brief hervorgekramt und gerätselt hatte, was er wohl bedeuten mochte, gab er sich irgendwann einen Ruck und legte ihn in ein Buch, das er angefangen und vor Langeweile wieder fortgelegt hatte. Es brachte nichts, sich weiter den Kopf zu zermartern. Solange er noch im Krankenhaus bleiben musste, konnte er in dieser Sache doch nichts unternehmen. Vernünftiger war es da, nach Kräften an seiner Genesung zu arbeiten. Er würde fortan allen Anweisungen des ruppigen, aber fähigen Arztes Folge leisten, würde alle Turnübungen machen, die dieser ihm aufgegeben hatte, und so lange durch die Flure humpeln, bis er nicht mehr auf seine Krücken angewiesen war. Er hatte nicht vor, Invalide zu bleiben.
    Seine ersten Gehversuche waren demütigend. Er war nach wenigen Schritten zusammengebrochen und hatte sich von einer Krankenschwester aufhelfen lassen müssen. Er probierte es erneut, mit demselben niederschmetternden Ergebnis. Aber er gab nicht auf. Unermüdlich versuchte er es weiter, manchmal auch nachts, wenn die Schwester in ihrem Zimmer vor sich hin döste. Wenn er fiel, wollte er sich aus eigener Kraft aufrichten und nicht jedes Mal in ein besorgtes Gesicht blicken. Er nahm sich für den Anfang eine Umrundung seines Betts vor, an dem er sich zur Not hinaufhangeln konnte. Und das passierte öfter, als ihm lieb war. Das Aufrappeln war eine mühsame und schmerzvolle Angelegenheit, doch immerhin gelang es ihm.
    Als er die erste Etappe mehr oder weniger unfallfrei bewältigte, nahm er sich eine größere Strecke vor: von seinem Bett zur Tür seines Zimmers. Er fiel ein paarmal hin, er brauchte lange und litt Schmerzen, aber er bewegte sich aus eigener Kraft! Dieser Erfolg beflügelte ihn. Sein nächstes Ziel war die Tür des Schwesternzimmers. Seine Gehversuche machte er nun auch tagsüber, denn die mal ungläubigen, mal aufmunternden Blicke seines »Publikums« – Ärzte, Pflegepersonal und andere Patienten – gaben ihm Auftrieb.
    Wider Willen bewunderte Dr. João Henrique de Barros, mit welchem Ehrgeiz der junge Mann daran arbeitete, wieder richtig gehen zu können. Dennoch musste er als sein Arzt dafür sorgen, dass er es nicht übertrieb. Eine Überlastung des Beins könnte den gegenteiligen Effekt als den gewünschten haben und die Heilung verzögern. Auch eine falsche Belastung konnte verheerende Auswirkungen haben. Er musste ihn anleiten, ihn bei seinen Übungen betreuen und für Ausgewogenheit unter den jeweiligen gymnastischen Herausforderungen sorgen.
    »Ich weiß, dass Sie mich nicht sonderlich schätzen«, sagte er in gewohnt schroffem Ton eines Tages zu António, »und ich will nicht behaupten, dass es mir umgekehrt anders erginge. Aber ich bin verpflichtet, einen so eifrigen Patienten wie Sie zu unterstützen. Also legen Sie sich jetzt wieder hin und tun Sie, was ich Ihnen sage.«
    António war zunächst so perplex, dass er anstandslos der Aufforderung Folge leistete. Doch als er auf seinem Bett lag, dämmerte ihm die Komik der Situation, und er begann zu lachen.
    »Es gibt wenig Grund für Ihre Heiterkeit, glauben Sie mir. Wenn Sie jemals vollständig genesen wollen, dann haben wir viel Arbeit vor uns.« Damit nahm de Barros das verletzte Bein, drehte

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