Unter den Sternen von Rio
heimgekehrt.
»Sie ist eben doch ein kluges Mädchen«, sagte Neusa. Er hatte seine Frau gar nicht bemerkt, sie musste stumm in der Ecke gestanden und Bel beim Essen zugesehen haben. Wie lange die beiden sich wohl schon angeschwiegen hatten, bevor er erschienen war?
»Ich bin sehr müde. Wir können ja morgen weiterreden. Ich möchte jetzt schlafen gehen.«
»Aber sei leise«, ermahnte ihre Mutter sie. »Lara liegt schon eine Weile im Bett, weck sie bloß nicht auf.«
»Ich gebe mir Mühe. Gute Nacht, schlaft gut.«
Nachdem Bels Schritte auf der Treppe verklungen waren und sie sie oben herumrascheln hörten, setzten Neusa und Felipe sich an den Küchentisch und sahen einander ratlos an.
»Was hat sie dir erzählt?«, fragte Felipe seine Frau leise.
»Nicht mehr als das, was sie dir erzählt hat«, antwortete sie im Flüsterton.
»Das ist doch mehr als merkwürdig, findest du nicht?«
»Allerdings. Und wie sie aussieht! Als käme sie geradewegs aus dem Gefängnis, abgemagert und verlottert.«
»Ja, furchtbar«, sagte Felipe und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Ich dachte, sie wäre jetzt eine berühmte Sängerin. Sehen so Radiostars aus? Ich sage dir, Felipe, da steckt bestimmt ein Mann dahinter.«
»Meinst du?«
»Und ob. Wenn eine junge gesunde Frau ihren Appetit verliert, ist immer Liebeskummer daran schuld. Ich habe ihr die besten Leckereien vorgesetzt, die ich auftreiben konnte, aber sie hat nichts davon angerührt. Erst als ich ihr damit gedroht habe, sie notfalls zu füttern, hat sie eine Scheibe trockenes Brot gegessen.«
»Und sie hat gar nichts erzählt?«, fragte er erneut.
»Herrgott noch mal, Mann, bist du taub? Nein, sie hat gar nichts erzählt. Nur dass sie gern wieder bei ihrer Familie leben würde, allein fühle sie sich zu einsam.«
»Glaubst du das?«
»Natürlich nicht. Sie fühlt sich wahrscheinlich erst einsam, seit dieser Kerl, wer auch immer es war, nicht mehr ihr Bett wärmt. Es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie demnächst auch noch einen dicken Bauch bekäme.«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Es mangelt dir anscheinend an Phantasie.
Ich
kann es mir lebhaft vorstellen – vor allem das nächtliche Geplärre. Und das jetzt, wo unser eigener kleiner Junge gerade anfängt durchzuschlafen. Eins sage ich dir, ich werde mich um das Balg nicht kümmern! Das kann sie schön allein machen, die Windeln waschen und all die blöde Arbeit, die ein Baby so mit sich bringt. Da hat sie sich aber geschnitten, wenn sie denkt, sie kann hier einfach wieder hereinspazieren und ihrer lieben Mutter den ganzen Mist überlassen.«
»Es ist doch gar nicht gesagt, dass sie schwanger ist. Beruhige dich, Neusa«, versuchte Felipe sie zu beschwichtigen.
»Ich will mich aber nicht beruhigen. Ich habe das Recht, mich aufzuregen. Schlimm genug, wenn ein 17-jähriges, unverheiratetes Mädchen ein Kind bekommt, das ist eine Schande für die ganze Familie. Aber gut, es ist ja kein Einzelfall, es hat schon ganz andere Familien getroffen. Aber wenn die eigene missratene Brut dann wiederum ihre Brut bei den gebeutelten Großmüttern abliefert, dann …«, hier holte sie tief Luft, um einen anderen Gedanken weiterzuspinnen: »Großmutter! Und du Großvater! Wie findest du das? Wir sind noch nicht mal vierzig Jahre alt, haben gerade erst begriffen, dass unsere Jugend endgültig vorbei ist, da macht sie uns zu Großeltern!«
Felipe konnte nicht anders: Er begann zu lachen. Nicht allein wegen der lächerlichen Vorstellung, Großvater zu werden, sondern weil sich auf diese Weise sein ganzer Kummer entlud.
»Wie kannst du nur darüber lachen? Das ist nicht komisch«, ereiferte sich Neusa.
Ausnahmsweise musste er ihr recht geben.
Als der sonderbare Anfall vorbei war, schlug er vor, dass sie ebenfalls zu Bett gingen. »Lass uns eine Nacht darüber schlafen. Morgen sehen wir weiter.«
Am Frühstückstisch fiel Felipe siedend heiß ein, dass er einen wichtigen Termin hatte. Er musste sich sputen.
»War ja klar, dass du mich damit allein lässt«, beschwerte Neusa sich. »Immer bleibt alles an mir hängen.«
»Außer das Geldverdienen«, erinnerte er sie.
»Ich würde sofort mit dir tauschen.«
»Du hast ja noch Dona Fernanda zu deiner Unterstützung. Wo ist sie überhaupt?«
»Ach, merkst du auch schon, dass deine Mutter nicht da ist? Sie liegt neuerdings andauernd in ihrem Zimmer und liest und lässt sich von mir bedienen.«
Felipe seufzte. Ein weiteres Problem, um das er
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