Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
daran gütlich taten, als seien sie am Verhungern und Verdursten. Wären alle Gäste gekommen und mit einem ähnlichen Appetit gesegnet gewesen, hätten ihre Speisen bei weitem nicht gereicht.
    »Die arme Sinhazinha Ana Carolina«, sagte Mariazinha zu ihrem Dienstherrn. »Das alles muss schrecklich für sie sein.«
    »Ja, das ist es«, ging León darauf ein, obwohl er ahnte, dass das Hausmädchen nur auf weitere pikante Details aus war.
    »Warum ist sie nicht hier, wo sie hingehört, im Kreis ihrer Familie?«, fragte Mariazinha betont unschuldig.
    »Was stellst du für freche Fragen?«, schaltete sich Dona Alma ein. »León, da siehst du, wozu deine Negerbefreiung geführt hat«, wandte sie sich an den Hausherrn. »Vorlaut, neugierig und dreist sind sie, diese schwarzen Dinger. Waren sie immer schon.«
    León verdrehte die Augen. »Sie sind unverbesserlich, Dona Alma. Waren Sie immer schon«, gab er zurück und lieferte seiner Schwiegermutter damit einen neuerlichen Grund, ihn zu verachten, obwohl sie doch gerade begonnen hatte, ihm ein paar gute Seiten abzugewinnen.
    »Kein Respekt vor dem Alter«, fauchte sie und ging davon. Beinahe hätte León laut aufgelacht. Er war selbst schon lange Großvater, und diese alte Hexe behandelte ihn wie einen jugendlichen Heißsporn. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie.
    Er nahm sich eines der feinen Lachs-Canapés und schlenderte zu der Gruppe, die am Tisch saß und aufgeregt diskutierte. Es waren Vita, ihre beiden gemeinsamen Söhne Pedro und Eduardo sowie Dona Alma, die sich abenteuerliche Theorien über den Verbleib Ana Carolinas ausdachten.
    »Ich könnte mir vorstellen, dass sie erschüttert über diese ganze Veranstaltung war und einfach nur instinktiv die Flucht ergriffen hat. Sie ist volljährig, und sie hat viele Freunde in Rio. Bestimmt taucht sie morgen wieder auf«, meinte Pedro.
    »Wie kannst du nur so ruhig sein? Sie ist unsere Schwester. Sie irrt ganz allein da draußen herum, und das in einem Gemütszustand, in dem sie zu sonst was fähig wäre«, widersprach Eduardo, der Jüngere der beiden.
    »Du meinst, sie könnte sich …«, fragte Dona Alma beunruhigt. »Hat sie denn zuvor schon Anzeichen von Lebensmüdigkeit erkennen lassen?« Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre stets fröhliche Enkelin so labil war, dass sie mit Selbstmordgedanken spielte. Aber sie kannte sie ja auch nicht so gut, wie ihre Brüder es taten.
    »Ja, das meine ich«, bestätigte Eduardo. »Und ich …«
    »So ein Quatsch!«, unterbrach ihn León.
    »Oh, hallo
pai
«, murmelte Eduardo, von dem Erscheinen seines Vaters aus dem Konzept gebracht.
    »Sie würde sich niemals etwas antun. So dumm ist sie nicht, unsere Kleine. Es war schließlich nur eine Hochzeit.«
    »
Ihre
Hochzeit«, verbesserte Pedro seinen Vater.
    »Na und? In ein paar Monaten ist Gras über die ganze Sache gewachsen, und dann sucht sie sich einen neuen Bräutigam. Es ist doch keine Sache, an der die Seele zerbricht. Der Ruf leidet ein wenig, zugegeben, aber ich denke, dass Ana Carolina über solchen Dingen steht.«
    »Und warum ist sie dann nicht hier?«, fragte Eduardo.
    »Ich an ihrer Stelle wäre auch nicht hier«, sagte Dona Alma. »Seht euch doch an und hört euch doch mal zu. Wie Hyänen wärt ihr über sie hergefallen.«
    »Bitte,
mãe
«, sagte Vitória in verärgertem Ton. »Die Ereignisse haben Sie offenbar mehr mitgenommen, als Sie sich eingestehen wollen …«
    »Sag mir nicht, was mir bekommt und was nicht!«, zischte Dona Alma.
    »… und deshalb halte ich es für das Beste, wenn Sie sich für Ihre Siesta zurückziehen«, fuhr Vitória unbeeindruckt fort.
    León bewunderte seine Frau einmal mehr für ihre Kaltblütigkeit. Er wusste, dass Vita wahrscheinlich mehr litt als alle anderen zusammen. Sie hatte sich von dieser Verbindung so viel versprochen, Henrique Almeida Campos wäre als Schwiegersohn perfekt gewesen, und heute hatte sie sich am Ziel ihrer Träume gesehen. Und dann – paff! – kam dieser Felipe daher und ließ alle Hoffnungen zerplatzen wie Seifenblasen.
    »Vielleicht solltest lieber du dich einmal ausruhen«, parierte Dona Alma. »Du scheinst mir sehr … angespannt zu sein.«
    »Hört doch auf damit«, bat Pedro, wie immer der Besonnene, Vernünftige. »Viel wichtiger ist es doch, dass wir herausfinden, wo Ana Carolina ist, und sie nach Hause holen. Wir müssen ihr jetzt beistehen.«
    »Ich habe die Befürchtung, dass sie gar nicht zu Hause sein will«, meinte Vitória wie

Weitere Kostenlose Bücher