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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich Winter nannte.
    Bel und Augusto waren erst vor zwei Wochen in Frankreich angekommen, von dem Hafen an der Atlantikküste hatten sie dann noch zwei Tage bis Paris gebraucht. Ihr triumphaler Einzug in die Stadt der Liebe, in die Weltmetropole der Kultur und der Lebensart, war nicht ganz so grandios gewesen, wie sie ihn sich vorgestellt hatten. Das Wetter war von Anfang an scheußlich gewesen, mit Schneeregen und eisigen Böen. Die Leute hatten sie schlichtweg ignoriert, wenn sie sie etwa nach dem Weg fragten. Und ihre Unterkunft, eine typische
chambre de bonne
 – ein Dienstmädchenzimmer –, die sein Schwiegervater über irgendeinen Bekannten organisiert hatte, war klein, zugig und schmuddelig. Es war also alles andere als ein schöner Anfang gewesen. Und doch war Augusto voller Optimismus. Warum auch nicht? Er hatte eine Glückssträhne, und was für eine!
    Vor einem halben Jahr hatten er und Bel geheiratet. Es war eine wunderschöne Hochzeit gewesen, und Augusto hatte Tränen des Glücks vergossen. Als Zugabe hatte er eine Familie bekommen, die er sofort ins Herz schloss, jeden von ihnen. Umgekehrt verhielt es sich genauso. Seine Schwiegereltern, Bels Geschwister sowie ihre Großmutter liebten den jungen Mann und behandelten ihn, als sei er von jeher Teil der Familie gewesen. Das tiefe Gefühl von Geborgenheit, das Augusto empfand, wenn er an »seine« Familie dachte, war unbeschreiblich. Er konnte nicht nachvollziehen, wieso Bel sich immerzu mit ihrer Mutter anlegte oder wieso die Geschwister sich manchmal stritten. Die da Silvas hatten ein riesiges Geschenk vom lieben Gott bekommen und wussten es allzu oft nicht zu schätzen. Er selber würde, wenn Bel und er erst Kinder hätten, dafür sorgen, dass ihnen allen jederzeit klar wäre, welche Gnade ihnen zuteilgeworden war.
    Aber an Kinder war derzeit noch nicht zu denken. Das war der einzige Punkt in Augustos Leben, der ihm ein wenig zu schaffen machte. Nicht die Tatsache, dass sich noch kein Nachwuchs ankündigte, ganz im Gegenteil. Ein Kind hätte jetzt alle Karrierepläne, die Bel und er schmiedeten, zunichtegemacht. Und sie waren ja auch noch jung genug, sie konnten ruhig ein paar Jährchen warten. Aber eben dieses Warten, das hatte es in sich. Wenn es nach Augustos Körper gegangen wäre, hätte er in jeder freien Sekunde mit Bel Liebe gemacht. Da es jedoch nach seinem Verstand ging, musste er sich beherrschen. Und zwar öfter, als ihm lieb war. Selbst zu Zeiten, da eine Empfängnis unwahrscheinlich war, mochte Bel meist nicht so, wie er wollte. Er musste ihr Zeit lassen.
    »Kannst du nicht noch ein bisschen Zeitungspapier in die Ritzen stopfen? Hier zieht es so eiskalt herein, dass ich mir den Tod hole, bevor ich jemals auf einer Pariser Bühne gestanden habe«, bettelte sie jetzt.
    »Dafür müsste ich erst mal eine Zeitung haben. Das würde heißen, dass ich wieder diese verfluchten sechs Stockwerke runter- und raufrennen muss und mir da draußen nasse Füße hole.«
    »Von dem Gerenne wird dir aber wenigstens warm werden«, erwiderte Bel.
    »Außerdem kostet die billigste Zeitung 15  Centimes. Die können wir nicht erübrigen.«
    »Augusto, bitte. Ich friere.«
    »Na schön. Ich sehe mal, was sich machen lässt.«
    Unten, auf dem großen Boulevard de Clichy, ging Augusto zum nahe gelegenen Kiosk, direkt an der Metrostation Pigalle. Es war schwierig, dem Zeitungsverkäufer zu erklären, dass er gern ein altes Blatt haben wollte, die Zeitung von gestern. Er besaß keinerlei Französischkenntnisse und der Kioskbesitzer keine Phantasie. Vielleicht stellte der Mann sich auch nur dümmer, als er war. Diese schlechte Angewohnheit war Augusto schon öfter aufgefallen in Paris. Was hatten diese Leute bloß? Brachen sie sich einen Zacken aus der Krone, wenn sie mal lächelten oder auf seine pantomimisch vorgetragenen Wünsche zumindest mit dem Versuch reagierten, sie zu verstehen? Aber nichts als Ablehnung und Feindseligkeit schlugen ihm entgegen. Der Kioskbesitzer machte gar wedelnde Handbewegungen, als wolle er Augusto wie eine Fliege verscheuchen, während er ihn beschimpfte. Dazu brauchte Augusto keine Sprachkenntnisse, das verstand er auch so.
    Zu seinem großen Glück betrat in dem Moment, in dem er vor sich hin schimpfend den Stand verließ, ein Portugiese den Kiosk.
    »Ah, Sie sind Brasilianer?«, fragte der Mann gleich. Er hatte Augustos gemurmelte Flüche verstanden.
    »Gelobtseistdumariamuttergottes! Endlich jemand, der eine zivilisierte Sprache

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