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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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kopfschüttelnd und machte sich wenig später auf den Weg nach Hause. Er wollte in nichts hineingezogen werden, was ihn nichts anging. Seine Frau beschimpfte ihn noch Wochen später für diesen viel zu raschen Abgang, ihr Mann, so fand sie, hätte die Chance nutzen sollen, das Geschehen aus nächster Nähe mitzuverfolgen.
    »Lassen Sie lieber Ihren angehenden Schwiegersohn verhaften,
tia
Vitória«, empfahl Felipe und handelte sich damit weitere Beschimpfungen von Seiten der Angehörigen beider Brautleute ein. Kurz darauf verschwand auch er, denn die Stimmung war bedrohlich umgeschlagen, und er wollte sich nicht von diesen Leuten lynchen lassen. Obwohl er von einem Lynchmord in einer Kirche noch nie gehört hatte und obwohl der Bischof ein vernünftiger, besonnener Mann zu sein schien, der die schlimmsten Ausschreitungen zu verhindern wüsste, wollte Felipe es nicht darauf ankommen lassen. Als die allgemeine Aufmerksamkeit sich kurzfristig ganz auf Henrique konzentrierte, spazierte Felipe seelenruhig davon, erfüllt von einem gewissen Stolz auf das, was er hier angerichtet hatte.
    Henrique war am Ende mit den Nerven. Er zitterte am ganzen Körper und war dem Ansturm der Fragen, die auf ihn niederregneten, nicht gewachsen. Er antwortete mit Schweigen und flehenden Blicken. Irgendwann fühlte er sich so schwach, dass er sich auf die Stufen vor dem Altar setzte und den Kopf in seinen Armen barg. Er hatte es geahnt. Er war immer überzeugt davon gewesen, dass alle Sünden früher oder später bestraft wurden. Dass seine Schuld nun ausgerechnet bei seiner Hochzeit aufgedeckt werden musste, Herrgott noch mal, in einer Kirche!, das empfand er zwar als harte Strafe, aber dennoch als gerechtfertigt. Er
hatte
ein Verbrechen begangen. Nur, wieso hatte den
ehrenwerten
Senhor Passos und seine Spießgesellen nicht eine noch härtere Strafe als ihn getroffen? Hatten sie nicht auch größere Schuld auf sich geladen als er? War das gerecht? Er hob den Kopf und schaute sich suchend nach Ana Carolina um. Sie war eingeweiht gewesen. Wenn sie ihm verzeihen konnte, und das war ja offenbar der Fall, denn sonst hätte sie ihn ja nicht heiraten wollen, dann konnten ihm die anderen Leute doch eigentlich egal sein. Er entdeckte sie nirgends. Was er indes sah, war ein Beichtstuhl. Ja, beichten, das müsste er dringend einmal wieder tun. Er hatte diese segensreiche Einrichtung der katholischen Kirche zu Unrecht als abergläubischen Unfug abgetan. Die Beichte würde ihm helfen, sich zu fangen. Die Buße würde ihn erlösen.
    Seine Eltern kamen zu ihm und wollten ihm aufhelfen, damit er mit ihnen zusammen den Ort seiner größten Erniedrigung verlassen konnte. »Wo ist Ana Carolina?«, fragte seine Mutter ihn, doch Henrique war noch immer nicht imstande zu reden. Mit erhobenen Schultern und offenen Handflächen machte er eine Geste, die seine Unwissenheit zum Ausdruck brachte. In dem Augenblick trat Marie heran und raunte ihm zu: »Ana Carolina ist völlig verstört. Sie möchte heute allein sein. Geh heim, Henrique.«
    Seine Mutter, die das mitgehört hatte, sagte leicht eingeschnappt: »In guten wie in schlechten Tagen …«
    Worauf Marie spontan erwiderte: »So weit ist es ja zum Glück für meine Cousine gar nicht erst gekommen, dass sie … einem Verbrecher diesen Treueschwur leisten musste.« Dann wandte sie sich um und stolzierte davon. Sie war eigentlich zu Henrique gegangen, um ihn nach diesem »Verbrechen« auszuquetschen. Noch immer rätselten alle, um was es sich dabei wohl handeln mochte, doch Henrique selbst war in eine Art Schockstarre gefallen und zu keiner Auskunft mehr fähig, und der dunkelhäutige Mann war spurlos verschwunden. Einzig der Bischof war eingeweiht worden, wie Marie hatte beobachten können. Der Mulatte, der die Anklage erhoben hatte, war mit dem Geistlichen ein paar Schritte beiseitegetreten und hatte ihm mit zornerfülltem Gesicht etwas erzählt, das den Bischof erröten ließ.
    Es war schließlich León, der genügend gesunden Menschenverstand und Geistesgegenwart besaß, um die große Familie zusammenzutrommeln und dazu zu bewegen, nach Hause zu fahren.
    »Es hat doch keinen Sinn, hier weiter herumzustreiten und darauf zu hoffen, dass sich alles noch zum Guten wendet. Die Hochzeit ist abgeblasen. Lasst uns heimfahren, da können wir alle in Ruhe darüber reden. Ana Carolina wird uns die Sache vielleicht erklären können. Wo steckt sie überhaupt?« Erst jetzt bemerkte er die lange Abwesenheit seiner Tochter.

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