Unter den Sternen von Rio
Brasilianerin?«
»Ja.« Was für ein schrecklich hölzerner Dialog, dachte Ana Carolina. Für ihr unerwartetes Wiedersehen hätte sie sich spritzige Wortspiele, Esprit, Humor und geistreiche Zweideutigkeiten gewünscht, aber doch nicht diesen platten Austausch von Informationen. Da konnten sie ja gleich übers Wetter reden. Wobei – genau genommen hatten sie das bereits getan.
»Oh, der Nebel lichtet sich«, sagte António nun. Im Geiste verdrehte Ana Carolina die Augen.
»Ja«, erwiderte sie überflüssigerweise. Sie sah der Wolke nach, die sie eingehüllt hatte und die nun vom Wind fortgetrieben wurde. In einiger Entfernung erkannte sie Henrique, der auf sie zukam.
»Da kommt mein Verlobter.«
»Was?
Sie
sind die Braut von Henrique Almeida?«, rief António verdutzt aus.
»Wie habe ich das zu verstehen? Sie kennen sich?«
»Aber ja doch, seit vielen Jahren.« Er winkte Henrique zu, der zurückwinkte und lächelnd näher kam.
»Und wieso … kenne ich Sie dann noch nicht?« Nach einem Blick auf sein ironisches Grinsen fügte sie hinzu: »Ich meine, offiziell? Die meisten seiner Freunde hat mir Henrique längst vorgestellt.«
»Ich war in Paris.«
»Ah.«
»Ana Carolina, António – endlich habe ich euch gefunden!«, rief Henrique, als er zu ihnen stieß. »Meine Güte, war das ein verfluchter Nebel, was? Von einer Sekunde auf die andere konnte man die Hand vor Augen nicht mehr erkennen. Beinahe wäre uns ein Granitblock heruntergefallen. Der wäre für immer verloren gewesen. Ach, aber was rede ich da – das interessiert euch bestimmt gar nicht.« Plötzlich hielt er inne, als sei ihm gerade erst ein Licht aufgegangen. »Ihr kennt euch?«
»Dieser Herr und ich sind in dem Nebel praktisch übereinander gestolpert«, antwortete Ana Carolina ausweichend.
»Na so was«, wunderte Henrique sich. »Wenn das kein verrückter Zufall ist. Also dann will ich euch mal einander vorstellen: Ana Carolina, das ist António Carvalho, ein alter Studienkollege von mir. Und António, das ist meine Verlobte Ana Carolina Castro da Silva.«
António und Ana Carolina sahen einander betreten an. »Doch nicht von
den
Carvalhos?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Und dann sind Sie wohl die Tochter von
den
Castro da Silvas?«, wunderte António sich ähnlich konsterniert.
Oh ja, wie recht Henrique hat, dachte Ana Carolina: Was für ein verrückter Zufall.
Was für eine böse Laune des Schicksals.
Was für ein schlechter Witz.
3
D ie Fehde zwischen der Familie Castro da Silva und den Carvalhos dauerte bereits mehr als zwanzig Jahre an. Ihre genaue Ursache hätte außer Dona Vitória niemand schlüssig zu erklären vermocht, und die bevorzugte es zu schweigen. Es sei denn, man sprach sie gezielt auf den Zwist an. Dann fuhr sie aus der Haut und bediente sich unflätiger Ausdrücke, um »dieses Carvalho-Pack« zu beschimpfen. »Frag mich nie wieder nach dieser Bande von Straßendieben und Tagelöhnern!«, hatte sie ihrer Tochter einst geantwortet, als diese es gewagt hatte, sich nach dem Grund für die Feindschaft zu erkundigen. Aber wie hätte Vitória einer Zehnjährigen auch all die Feinheiten begreiflich machen können, die ihr diese Familie so verhasst machten? Es ging längst nicht mehr nur um die Grundstücke, die Roberto Carvalho ihr abspenstig gemacht hatte. Es war die heimtückische Art, wie er sie damals hintergangen hatte. Es war außerdem die Heuchelei seiner aus Frankreich stammenden Gemahlin Madeleine, die dem Padre José bei ihrer Beichte Lügengeschichten über Vitória auftischte – mit denen der Padre dann seinerseits Vitória konfrontierte. Es war die Herkunft Robertos aus einem kleinbürgerlichen Haushalt und der Standesdünkel Madeleines, die angeblich von altem Adel abstammte. Es waren sein zu lautes Lachen und ihr zu dick aufgetragenes Rouge. Es war die Summe aller Dinge, die Vitória nicht ausstehen konnte. Sie hasste diese Leute. Und sie wünschte nicht, mit ihnen gesellschaftlich zu verkehren. Niemals wieder.
Bei der feierlichen Eröffnung des Luxushotels »Copacabana Palace« vor drei Jahren wäre es beinahe zu einem Eklat gekommen, weil Vitória sich geweigert hatte, mit den Carvalhos an einem Tisch Platz zu nehmen – einem Tisch, an dem rund zwanzig Personen saßen und an dem nicht die geringste Gefahr bestanden hatte, mit dem verhassten Paar Konversation machen zu müssen. Einzig dem freundlichen Angebot des alten Doutor Lourenço war es zu verdanken gewesen, dass die Plätze getauscht
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