Unter den Sternen von Rio
eingezogen bist, in meiner eigenen Wohnung Vorschriften machen. Entweder lässt du mich in Frieden, dann können wir drüber reden, oder du ziehst Leine.«
Bel starrte ihre Freundin entgeistert an. Die Möglichkeit, als Untermieterin nicht akzeptiert zu werden, hatte sie nie in Betracht gezogen. Allerdings hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass es mit Beatriz so weit bergab gegangen war. Aus der bildhübschen 19 -Jährigen, die vor gut einem Jahr stolz aus ihrem Elternhaus ausgezogen war, um als Stenotypistin die Welt zu erobern, war ein verlottertes Flittchen geworden. Daran mussten sie schleunigst etwas ändern. Hoffentlich war es, dachte Bel, noch nicht zu spät dafür. Sie wunderte sich, wie es zu diesem schnellen Abstieg hatte kommen können, stellte Beatriz diese Frage aber nicht. Dazu hätten sie noch Zeit genug. Erst einmal würde sie »ihr« Zimmer einrichten, dann würden sie gemeinsam die Diele und die Küche auf Vordermann bringen. So aufregend es auch war, der Aufgeräumtheit der elterlichen Welt zu entkommen, so deprimierend war doch auch dieses schmuddelige Loch.
»Ah, es duftet nach Kaffee«, hörte sie da eine Männerstimme. Sie wandte sich um, nur um sofort beschämt den Blick zu senken. Beatriz’ Galan stand splitternackt in der Tür und streckte sich. Offenbar war er noch nicht so wach, als dass er die Anwesenheit einer fremden Person bemerkt hätte.
»Herrje, Luíz, bedeck dich! Siehst du nicht, dass ich Besuch habe?«
»Oh. Hallo«, grinste er und ging aufreizend langsam fort. Bel blickte auf und sah noch sein sehr knackiges Hinterteil, als er um die Ecke verschwand.
»Gut gebaut ist er ja«, bemerkte sie.
Beatriz starrte sie entgeistert an, bevor beide Freundinnen gleichzeitig in ein befreiendes Gelächter ausbrachen. Sie lachten so heftig, dass die eine sich an ihrem Kaffee verschluckte und der anderen Tränen kamen. Und auf einmal war es wieder so wie früher. Ihr Lachen hatte die Zeit ebenso hinfortgefegt wie die absurde Situation und die anfängliche Fremdheit zwischen ihnen. Trotz der beengten Situation würden sie, das war beiden nun klar, bestens miteinander auskommen.
Es dauerte nicht lange, da hatte Bel sich mit Hilfe einer Matratze, die sie tagsüber zusammenrollen konnte, sowie ein wenig Dekoration ein halbwegs behagliches Reich geschaffen. Sie hatte gefegt und geschrubbt, bis kein Staubkrümelchen mehr zu sehen war. Sie hatte billigen Baumwollstoff in einem Geschäft für Sonderposten erstanden und daraus Gardinen, Kissen und Bettzeug genäht. Ohne das Geld, das ihr der Mann gegeben hatte, der sie am Tag ihres Auszugs von zu Hause beinahe überfahren hätte, wäre das nicht möglich gewesen. Denn eine richtige Arbeit hatte sie bisher noch nicht gefunden. Bel hatte sich ihren kometenhaften Aufstieg irgendwie einfacher vorgestellt. Das Einzige, was sie hatte ergattern können, war die Möglichkeit, in einem Nachtclub zu singen – ohne dafür eine Bezahlung zu erhalten. Sie würde, so hatte ihr der Besitzer erklärt, genügend Trinkgeld bekommen. Wenn sie gut sei, dann wolle er sie einstellen und ihr ein Gehalt zahlen, aber das könne er erst nach ein paar Wochen entscheiden.
Beatriz hatte getobt. »Wie kannst du dich nur auf einen so fadenscheinigen Handel einlassen? Der Kerl wird dich ein paar Wochen auftreten lassen und dann die nächste Sängerin, die sich vorstellt, gratis für sich arbeiten lassen.«
»Aber wenigstens singe ich und muss nicht etwa Fische ausnehmen oder anderer Leute Dreckswäsche waschen. Außerdem ist das Trinkgeld schon einmal besser als nichts.« Dass es so dürftig ausfallen würde, hätte sie selber nicht gedacht. Ein einziges Mal, ganz am Anfang, hatte ihr ein Gast eine etwas höhere Summe zugesteckt und war dabei sogar höflich-distanziert geblieben. Die meisten Männer glaubten, wenn sie ihr eine mickrige Kupfermünze gaben, sich Freiheiten herausnehmen zu dürfen – ihr den Po tätscheln oder Ähnliches.
Von ihrem sehr geringen Einkommen musste Bel sich auch noch zwei Kleider kaufen, denn von zu Hause hatte sie nur eines mitgenommen. Schließlich konnte sie nicht jeden Abend dasselbe anziehen. Es blieb also herzlich wenig übrig, so dass sie und Beatriz sich vorwiegend von den billigsten und nahrhaftesten Lebensmitteln ernährten. Es gab jeden Tag Bohnen, Reis und geröstetes Maniokmehl, für ein Stück Fleisch oder Fisch dazu reichte es selten. Auch Obst aßen sie viel, denn Bananen machten satt und kosteten fast nichts.
So
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