Unter den Sternen von Rio
deswegen seien Sie gekommen.«
»Ähm, offen gestanden, nein.« Ihr Plan, Senhor Pereira um ein paar Réis zu erleichtern, erschien Bel plötzlich kindisch und dumm. Wer wusste, mit wem sie es hier zu tun hatte? Vielleicht konnte er ihr in anderer Hinsicht helfen. Dafür wäre es allerdings hilfreich zu wissen, womit er sein Geld verdiente.
Fernando Pereira lächelte das Mädchen, das da so selbstbewusst vor ihm saß, nachdenklich an. Die meisten jungen Dinger, die bei ihm vorstellig wurden, schmierten ihm derart viel Honig ums Maul, dass einem schlecht davon werden konnte. Sie erniedrigten sich und boten sich ihm dar wie Dirnen. Sie logen das Blaue vom Himmel, einzig und allein für die Chance, wenigstens einen Auftritt als Statistin zu ergattern. Aber dieses Mädchen hier war anders. Keine schlechte Taktik, dachte er bei sich. Er glaubte ihr keine Sekunde, dass sie nicht wusste, wer er war – er sah die Berechnung in ihren Augen. Dennoch konnte er nicht umhin, sie für ihr Auftreten zu bewundern. Keine Frage, sie hatte schauspielerisches Talent. Und das richtige Aussehen hatte sie auch.
»Ich bin Produzent«, sagte er schlicht.
»Und ich kann lesen«, erwiderte Bel frech.
»Ja – und?«
»Was produziert denn ein Produzent?«
Wusste sie das wirklich nicht? So viel Naivität nahm er ihr nicht ab. Allerdings wirkte sie sehr überzeugend.
»Nun, ein Produzent produziert zum Beispiel Filme. Oder Radiosendungen. Oder Schallplatten.«
»Sie handeln mit Celluloid?«
Sein wieherndes Lachen verunsicherte Bel. Was war denn daran so lustig? Es gefiel ihr gar nicht, wie sich sein freundliches, ein wenig dickliches Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzog, wie er seine schiefen, gelben Zähne entblößte und wie sich seine knubbelige, großporige Nase kräuselte. Sie hob die Augenbrauen zu einem Gesichtsausdruck, der, so hoffte sie, tiefste Verachtung zeigte. »Ich gehe dann lieber wieder. Leben Sie wohl, Senhor Pereira.«
»Halt! Ich lasse Sie nicht gehen, ohne zu erfahren, was Sie denn nun eigentlich von mir wollten.«
Bel zögerte einen Augenblick, bevor sie sich entschloss, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Er hatte es nicht besser verdient. »Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich hatte vor, Sie ein bisschen zu schröpfen. Ich wollte Ihnen eine mitleiderregende Geschichte von hohen Arztkosten und einer hungrigen Geschwisterschar erzählen – damit ich meine Miete bezahlen kann. Aber bevor ich mich länger auslachen lasse, gehe ich lieber als Erntehelferin arbeiten. So, und nun:
Adeus.
Auf Nimmerwiedersehen.«
Das Gelächter des Senhor Pereira drang bis ins Sekretariat, wo drei Damen sich verblüfft ansahen. So etwas hatte man hier noch nie gehört. Was man ebenfalls noch nie erlebt hatte, was die Sekretärinnen jedoch nicht sahen, war, wie sich der pummelige Produzent blitzschnell erhob und zur Tür seines Büros sprintete, um sie Bel zu versperren.
Solche Flinkheit hatte sie ihm gar nicht zugetraut. »Was soll das?«, fragte sie in einem Ton, der Müdigkeit und Überdruss zum Ausdruck bringen sollte. »Haben Sie mich nicht schon genug gedemütigt? Müssen Sie mich jetzt auch noch gegen meinen Willen hier festhalten?«
»Regen Sie sich ab. Setzen Sie sich wieder. Sie haben den Job.«
»Du hast was?!«, rief Beatriz am selben Abend aus, als Bel ihr die Geschichte erzählte. »Du hast ihm nicht wirklich gesagt, dass du ihn
schröpfen
wolltest, oder? Das kann ich nicht glauben. Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe. Und der Blödmann belohnt dich auch noch dafür, herrlich!«
Bel hatte ihr letztes Geld zusammengekratzt und eine Flasche Likör gekauft, um mit ihrer Freundin auf ihren unerwarteten Erfolg anzustoßen. Nun war die Flasche bereits zur Hälfte geleert, und die beiden befanden sich in einem Zustand, in dem ihnen die Welt gehörte. Alles war möglich. Bel würde ein Filmstar werden. Sie würde Geld scheffeln und so berühmt sein, dass sie nur noch verkleidet auf die Straße gehen konnte. Sie lachten sich halbtot bei der Vorstellung und fanden sie doch insgeheim gar nicht so abwegig. Bel war sehr betrunken, denn sie trank ja sonst nie Alkohol. Warum eigentlich?, fragte sie sich. Es war schön, beschwipst zu sein.
In einem Moment von Realitätssinn hatte Beatriz ihr allerdings zwischenzeitlich die Laune vermiest, als sie ihr nämlich eine Predigt über die Gefahren hielt, die ihr in dem Geschäft drohten. »Du musst aufpassen, dass sie dich nicht für ihre schmutzigen
Weitere Kostenlose Bücher