Unter den Sternen von Rio
kleinen Filmchen benutzen. Zieh dich auf keinen Fall aus. Und vor allem sei vorsichtig, wenn dir einer damit kommt, es sei ›Kunst‹.«
»Du scheinst dich ja bestens auszukennen.«
»Man hört so einiges …«
»Ich finde nicht, dass Senhor Pereira aussieht wie
so einer.
«
»Das sind die Schlimmsten.«
»Ach, mit dem werde ich schon fertig.«
»Ja, wahrscheinlich wirst du das wirklich. Du machst es richtig, Bel. Lass dir von den Männern bloß nichts gefallen.« Beatriz beneidete ihre Freundin um deren Fähigkeit, die Männer nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Wie machte sie das nur? Sie hatte beobachtet, wie Bel mit Luíz umsprang. Derselbe Luíz, der sonst nur Dreck machte und sich satt aß, wenn er sie besuchte, zeigte sich plötzlich als echter Kavalier, der mal Bier mitbrachte, mal den Müll mit hinunternahm. Er hatte sie auch kein einziges Mal mehr geschlagen, seit Bel eingezogen war. Dabei hatte Bel nichts weiter getan, als ihm leise, fast flüsternd, vier Worte zu sagen: »Mit mir nicht, verstanden?« Beatriz selber hatte es ein wenig mit der Angst bekommen, so eindringlich und warnend hatte Bel gesprochen. Ein 16 -jähriges Mädchen, Himmelherrgott! Wo nahm sie nur diese Kraft her? Eines stand für Beatriz fest: Bel würde es noch weit bringen.
Das allerdings konnte noch dauern.
An ihrem ersten Arbeitstag in den Studios des Senhor Pereira hatte man Bel die undankbare Rolle einer Statistin zugewiesen, die als Hausmädchen eigentlich immer nur im Hintergrund mit dem Besen herumzuwuseln hatte. Da sie dies in beinahe jeder Szene tun musste, war sie den ganzen Tag auf den Beinen und fühlte sich abends so ausgelaugt, als habe sie tatsächlich von morgens bis abends gefegt. Ihr Honorar war gering, reichte aber für den Lebensunterhalt. Während Beatriz ganz stolz in der Gegend herumerzählte, ihre Freundin sei ein Filmstar, fühlte Bel sich wie ein besserer Putzlumpen. Keine ihrer Begabungen war gefragt. Sie brauchte nicht zu tanzen, und Singen war beim Stummfilm ja erst recht nicht nötig. Nicht einmal ihr gutes Aussehen kam in der Hausmädchenuniform zur Geltung. So, dachte sie, käme sie nie voran. Da hätte sie doch lieber weiter mit ihrer Samba-Truppe geprobt und darauf gehofft, dass man sie bei den Karnevalsumzügen zur Kenntnis nahm und ihr Talent entdeckte. Aber dafür war es nun zu spät.
Sie hatte Beatriz vor ein paar Tagen mit einer Nachricht zu Nilton geschickt. Ob man einen anderen Ort für die Proben finden könne, einen, bei dem sie ihren Eltern nicht über den Weg laufen würde? Bel war fest davon überzeugt, dass Nilton und die anderen
alles
getan hätten, um sie zurückzugewinnen – so wie sie selber ebenfalls alles getan hätte, um zu tanzen. Obwohl ihr jeden Abend von all dem Fegen der Rücken weh tat und sie todmüde war, hätte sie sich gern mit den Jungs getroffen und geübt. Es war nicht mehr lange bis zum Karneval, und sie wollte unbedingt mit ihrer Gruppe auftreten.
Doch als Beatriz von Nilton zurückkam, brachte sie ernüchternde Nachrichten: Die Samba-Truppe hatte sich eine neue Tänzerin gesucht, eine gewisse Paulinha.
»Paulinha?« Bel war entsetzt. »Wie konnten sie mir das nur antun?«
»Ähm, Schätzchen, ich darf dich daran erinnern, dass du es warst, die die Jungs im Stich gelassen hat.«
»Papperlapapp! Das hätte Nilton doch wissen müssen, dass ich nicht so sang- und klanglos verschwinde, sondern mich irgendwann bei ihm melde.«
»Tja, er wusste es aber nicht.«
»Was ist, hältst du jetzt zu ihm? Hast du dich etwa in ihn verguckt?«
»Er ist süß.«
»Beatriz, bitte! Du bekommst dein Leben nie in den Griff, wenn du dich bei jedem Mann, der dir gefällt, so schnell aufgibst.«
»Wieso soll ich mich aufgegeben haben?«
»Wer zahlt die Hälfte der Miete? Wer bringt ab und zu Fleisch mit nach Hause? Wer beschützt dich vor Luíz? Nilton etwa? Aber du hast nichts Besseres zu tun, als mir bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken zu fallen, bloß weil du einen Kerl
süß
findest.«
»Wenn er aber doch süß ist … Gib zu, dass er gut aussieht. Und toll tanzen kann. Und …«
»Du hast überhaupt nichts verstanden.«
Nein, das hatte Beatriz wirklich nicht. Und noch viel weniger verstand sie, warum fortan die Stimmung zwischen ihnen so abgekühlt war. Es verletzte sie, dass Bel nichts mehr von ihrer Arbeit beim Film erzählte, und es behagte ihr nicht, abends schweigend mit ihr zu essen. Irgendetwas war faul. Was hatte sie denn nur falsch
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