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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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vergingen mehrere Wochen, und Bel war schon kurz davor, wieder zu ihren Eltern zurückzukehren. Dort gab es abwechslungsreiches Essen, umsonst und von jemand anders zubereitet. Dort musste man sich den Abort nicht mit wildfremden Menschen teilen. Dort kümmerten sich ihre Mutter und Großmutter um den Haushalt, und ihr Vater brachte genügend Geld nach Hause, dass man sich auch einmal etwas Hübsches leisten konnte, was über das absolut Lebensnotwendige hinausging. Das Leben armer Leute, entdeckte Bel, hatte nichts Romantisches an sich. Es war einfach nur aufreibend und erbärmlich. Am schlimmsten aber war, dass man vor lauter Plackerei und Sparsamkeit anfing, in kleineren Dimensionen zu denken. Sie verlor das große Ganze aus den Augen, so dass letztlich Armut zu noch mehr Armut führen würde. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich endlich aus diesem Teufelskreis befreite.
    Der freundliche Senhor Pereira fiel ihr wieder ein. Hatte er ihr nicht Hilfe angeboten? Nun, sie würde sie in Anspruch nehmen. Wenn sie nur die Visitenkarte des Mannes finden könnte! Sie erinnerte sich, dass er ihr, als er sie nach ihrem Zusammenstoß hier abgesetzt hatte, eine Karte überreicht hatte. Und sie in ihrer grenzenlosen Arroganz hatte die Karte ignoriert, weil sie sein Hilfeangebot demütigend gefunden hatte. Sie hatte tatsächlich geglaubt, innerhalb weniger Tage Fuß fassen zu können und sich einen Namen zu machen. Ha! Wie kindisch sie gewesen war. Fieberhaft suchte sie nach der Karte. Sie wühlte zwischen Wäschestücken und in Einkaufskörben, suchte unter Teppichen und in Schränken – und fand sie schließlich auf dem Boden ihres Leinenbeutels, in dem sie an jenem Tag ihre Habseligkeiten transportiert hatte.
    Fernando Pereira,
stand da,
Produtor,
gefolgt von der Adresse und einer Telefonnummer. Was zum Teufel war ein
produtor,
ein Produzent? Was produzierte er denn? Seifen? Musikinstrumente? Bastkörbe? Wie konnte man nur eine so nichtssagende Berufsbezeichnung tragen und sie dann auch noch auf seine Visitenkarte drucken lassen? Nun ja, es spielte nicht wirklich eine Rolle. Der Mann war nett gewesen und offensichtlich reich. Wenn sie ihm erklärte, dass sie hohe Arztkosten gehabt hatte, würde er vielleicht ein wenig Geld springen lassen, mit dem sie endlich ihren Plan in die Tat umsetzen konnte.
    Als Bel vor dem imposanten Gebäude stand, vergewisserte sie sich noch einmal, ob es sich wirklich um die angegebene Adresse handelte. Ja, kein Zweifel. Straße und Hausnummer stimmten. Dann sah sie das Schild.
Produções Pereira
stand auf dem kleinen, blank polierten Messingschild, das so aussah, als habe es der
produtor
nicht nötig, sich wichtig zu machen – weil er wichtig war. Sie fühlte sich eingeschüchtert von dem herrschaftlichen Portal und dem hochnäsigen Portier, von der marmorverkleideten Lobby und den verspiegelten Wänden. Und die Neugier brachte sie fast um. Was waren das für
produções,
für Produktionen?
    Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie sich an Portiers, Vorzimmerdamen und Chefsekretärinnen zu Senhor Pereira vorgearbeitet hatte. Ohne ihr Selbstverständnis, dass sie es wert war, wäre ihr das wohl kaum gelungen. Man hatte sie angesehen wie eine Dienstmagd oder Bittstellerin, und einzig ihrer angeborenen Dreistigkeit hatte sie es zu verdanken, dass sie nun ins Allerheiligste vorgelassen wurde: das Büro des Chefs.
    »Ah, Senhorita da Silva, wenn ich mich recht entsinne? Wie geht es Ihnen?«, begrüßte sie der Mann herzlich und reichte ihr die Hand.
    »Sehr gut, danke.« Dass er sich an ihren Namen erinnern konnte, wunderte Bel nicht sonderlich. Es hätte sie eher erstaunt, wenn er sich nicht an sie erinnert hätte. »Und Ihnen? Machen Sie noch immer Rios Straßen unsicher mit Ihrem flotten Gefährt?«
    Er lachte laut auf. »Sie sind mir ja eine! Ha! Es waren ja wohl eher Sie mit Ihrer flotten Gangart, gepaart mit unverzeihlicher Unaufmerksamkeit, die die Verkehrssicherheit gefährdet haben. Wenn Sie nicht so ausnehmend hübsch wären, hätte ich Sie nicht nach Hause, sondern aufs nächste Polizeirevier gefahren.«
    »Das hätten Sie nicht gewagt«, sagte Bel augenzwinkernd. Mit Männern, die ihr Komplimente machten, wusste sie umzugehen.
    »Und ob. Ich bin nicht der geworden, der ich bin, wenn ich nicht genau das täte, was ich für richtig halte.«
    »Und wer sind Sie?«, platzte Bel mit der Frage heraus, bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte.
    »Wissen Sie das wirklich nicht? Ich dachte,

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