Unter den Sternen von Rio
noch panisch zu wirken. Antónios Auto stand noch immer in der Auffahrt, und sie war sich seines Blickes unangenehm bewusst. Erst als sie die Haustür öffnete, hörte sie den Motor aufheulen und den Kies aufspritzen.
Drinnen empfing sie ihre Mutter. »Wer war das?«
»Wer?«
»Wer wohl? Der junge Mann, der dich hierhergebracht hat.«
»Ach, nur ein Freund von Henrique«, murmelte Caro.
»Und warum heulst du dann?«, forschte Dona Vitória nach.
»Ich heule nicht«, antwortete Caro mit kräftiger Stimme, die sie all ihre Willenskraft kostete. »Mir ist eine Mücke ins Auge geflogen.«
»Ach so. Na dann. Was habt ihr denn zusammen gemacht?«, bohrte ihre Mutter weiter.
»Herrgott,
mãe,
lass mich doch erst einmal ankommen, bevor du mich deinem Verhör unterziehst. Außerdem gefällt mir dein Ton nicht. Was willst du mir unterstellen?«
»Nichts, mein Kind. Gibt es denn Anlass zu irgendwelchen … unschönen Vermutungen?«
»Natürlich nicht. So, und jetzt erlaube mir bitte, dass ich mich frisch mache und mir die Mücke aus dem Auge spüle.« Caro wartete die Erlaubnis nicht ab, sondern drehte sich um und marschierte schnurstracks die Treppe hinauf.
»Ach, und Ana Carolina?«, rief ihre Mutter, als sie auf dem mittleren Absatz angekommen war.
»Ja?«
»Mir gefällt dein Ton ebenfalls nicht.«
Caro schnaubte vor Wut. Musste ihre Mutter denn immer das letzte Wort behalten?
Dona Vitória ging grübelnd in ihr Arbeitszimmer. Sie hatte alles auf einen Blick erfasst: den außergewöhnlich attraktiven jungen Mann; das schmerzverzerrte und tränenüberströmte Gesicht ihrer Tochter; das seltene und teure Automobil, mit dem der Galan vorgefahren war; und die Tatsache, dass die beiden nur zu zweit unterwegs gewesen waren. Was sollte man daraus wohl anderes schließen, als dass da etwas lief, was zu diesem Zeitpunkt nicht laufen sollte? Wenn Ana Carolina eine Affäre haben wollte, dann sollte sie gefälligst damit warten, bis sie verheiratet war, so wie es jede anständige Frau machte, die sich einen Liebhaber hielt.
Dennoch tat es ihr in der Seele weh, ihre Tochter leiden zu sehen. Was dieser Mistkerl ihr wohl angetan hatte? Und was fiel ihm überhaupt ein, sich an eine verlobte Frau heranzumachen? Gab es nicht genügend andere, die seine niederen Gelüste befriedigen konnten? Denn dass seine Beweggründe, die Zweisamkeit mit Ana Carolina zu suchen, von niederer, wenn nicht gar animalischer Natur waren, daran zweifelte Dona Vitória keinen Moment. Männer! Ob alt oder jung – sie waren doch irgendwie alle gleich.
Einen Augenblick durchzuckte sie die Erinnerung an längst vergangene Tage, als sie selber nicht minder triebhaft gewesen war, doch unwirsch schob sie diese Gedanken beiseite. Ana Carolina war nicht wie sie, und dieser junge Mann war gewiss nicht wie León. Damals war es etwas ganz anderes gewesen. Außerdem waren sie und León ja immerhin verheiratet. Wenn der eheliche Liebesakt Spaß machte, war dagegen durchaus nichts einzuwenden. Aber außereheliche Vergnügungen? Die brachten einem ledigen Mädchen nichts außer einem gebrochenen Herzen und einer ungewollten Schwangerschaft. Man vermied sie tunlichst. Vielleicht sollte sie einmal in Ruhe mit ihrer Tochter reden, von Frau zu Frau sozusagen.
Da jedoch zu reden allein erfahrungsgemäß weniger zufriedenstellende Ergebnisse brachte, als zu handeln, betrachtete sie es als ihre Pflicht, etwas gegen diese unbotmäßige Liebelei zu unternehmen. Als Erstes musste sie herausfinden, wer der schöne junge Mann war. Sein Wagen bot einen erstklassigen Ansatz. Der Hafenmeister würde ihr mit Sicherheit sagen können, wann und von wem dieses rassige Automobil nach Brasilien eingeführt worden war. Hatte sie dann die Identität des niederträchtigen Verführers festgestellt, würden ihr schon Maßnahmen einfallen, ihn von ihrer Tochter fernzuhalten.
António bemerkte die Kamera erst, als er bereits vor seinem Haus angelangt war. Caro hatte sie in seinem Auto vergessen. Er hatte nicht die geringsten Bedenken, den Film an sich zu nehmen und entwickeln zu lassen. So hätte er wenigstens eine Fotografie, die ihn an den herrlichen Flug mit dieser noch herrlicheren Frau erinnerte.
Er hoffte, dass es nicht das einzige Foto bleiben würde, das er von ihr machte. Man durfte die Hoffnung nie aufgeben.
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S ein Vater, dachte Felipe, war in demselben Alter wie Bel gewesen, als er abgehauen war. Doch das war etwas ganz anderes gewesen. Felix da Silva hatte den
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