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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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eigentlich erst die Tatsache, dass sie den Flug verschwieg, diesen zu einer irgendwie anrüchigen Sache. Warum, fragte Caro sich, hatte sie Henrique nicht einfach erzählt, was sie vorhatte? Sie hätte in einem leichten Plauderton und ganz wie nebenbei berichten können, dass sie seinen Freund António zufällig getroffen und dieser sie zu einem Flug eingeladen hatte. »Ach, wie nett. Amüsiert euch gut«, hätte Henrique wahrscheinlich nur gesagt und sich noch darüber gefreut, dass seine Verlobte und sein alter Freund sich so gut verstanden. Damit wäre der Fall erledigt gewesen. Nun aber musste Caro weiterlügen – und das nicht nur Henrique, sondern auch António gegenüber. Dem nämlich hatte sie verschwiegen, dass sie heimlich mit ihm flog. Und was António daraus nun wieder für Schlüsse ziehen würde, darüber wollte sie lieber nicht so genau nachdenken.
    Sie flogen einen Kreis über dem Gipfel des Corcovado. Unter sich sahen sie die ruhenden Bauarbeiten. Ein paar Leute liefen dort herum, vielleicht Ausflügler. Sie waren so dicht über ihnen, dass sie sie winken sehen konnten. Caro winkte spontan zurück, während António mit den Tragflächen wackelte. Es fühlte sich merkwürdig an, wie in einem Karussell.
    »Willst du es auch einmal versuchen?«, rief António ihr zu.
    »Was – das Winken mit den Flügeln?«, brüllte sie über den Motorenlärm hinweg. Es waren die ersten Worte, die sie in der Luft wechselten.
    »Das Fliegen.« António nahm wieder Kurs auf das offene Meer. Sie erreichten es in so kurzer Zeit, dass Caro davon schwindelte. Was für Möglichkeiten sich hier boten! Eines Tages wären die Flugzeuge so weit entwickelt, dass sie Passagiere auf kommerzieller Basis transportieren konnten, und eine Reise nach Europa würde nicht mehr Wochen, sondern nur noch ein paar Tage dauern.
    »Es ist ganz einfach«, sagte António und ließ sein Steuerhorn los.
    Oh nein! Er erwartete doch nicht etwa von ihr, dass sie nun die Maschine lenkte?
    »Na los!«, forderte er sie auf.
    Ratlos schaute sie auf das zweite Steuer, das direkt vor ihr lag.
    »Ziehen gleich steigen. Drücken gleich sinken. Drehen gleich drehen«, erklärte er knapp und nickte ihr aufmunternd zu. Dass man gleichzeitig auch das Seitenruder betätigen sowie mit dem Zurücknehmen oder dem Erhöhen der Geschwindigkeit arbeiten musste, damit das Flugzeug nicht abkippte, verschwieg er ihr. Für eine kleine Kurve in dieser Höhe spielte es überhaupt keine Rolle.
    Also schön. Caro legte beide Hände um das Steuer, atmete tief durch und gab sich einen Ruck. Zaghaft drückte sie es nach vorn – und tatsächlich, die Nase des Flugzeugs richtete sich ein wenig nach unten. Stolz strahlte sie António an. Das war ja kinderleicht! Dann zog sie das Steuer zu sich heran, und siehe da, Wunder der Technik!, die Nase hob sich. Sie drückte erneut, um das Flugzeug in die Horizontale zu bringen. Dann drehte sie das Steuer vorsichtig nach links, das Flugzeug legte sich in eine sehr leichte Linkskurve. Sofort drehte sie zurück und flog weiter geradeaus, aufs offene Meer hinaus. Die Kurven – wenn man aus dem einen Seitenfenster das Wasser tief unter sich sah und aus dem anderen nur den Himmel – waren ihr ein wenig unheimlich.
    »Sehr gut!«, rief António. »Weiter so.«
    Sie führte dieselben Manöver noch einige Male durch und wurde zunehmend mutiger. Es machte sogar richtig Spaß!
    António griff unterdessen nach der Kamera auf ihrem Schoß und studierte sie ein paar Sekunden, bevor er den Mechanismus durchschaute. Dann fotografierte er Caro, deren beseeltes Lächeln er einfach unwiderstehlich fand. Er legte die Kamera zurück auf ihren Schoß und schaute auf die Armbanduhr – eine weitere segensreiche Erfindung von Alberto Santos-Dumont, denn mit einer Taschenuhr zu hantieren war während eines Fluges ziemlich kompliziert. Er stellte bedauernd fest, dass es Zeit war, zur Basis zurückzukehren, und gab Caro zu verstehen, dass er nun wieder das Steuer übernehmen würde.
    Bei der Landung beobachtete Caro ihn genau. António war hochkonzentriert und hantierte mit allerlei Hebeln und Schaltern herum, deren jeweilige Aufgabe sie nicht verstand. Das Fliegen war wohl doch ein bisschen schwieriger, als er sie glauben lassen wollte. Sie setzten mit den Hinterreifen hart auf, machten einen kleinen Hüpfer, um schließlich mit allen Reifen den Boden zu berühren und abzubremsen.
    »Das war großartig!«, rief Caro, die bereits ihre Gurte gelöst hatte und

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