Unter den Sternen von Rio
gehabt hatte. Er hatte sich auch ein vollautomatisches Textilwäschegerät ausgedacht sowie einen Vakuumstaubsammelapparat. Bei Letzterem war ihm ein gewisser Mister Hoover zuvorgekommen, allerdings war dessen Staubsauger ein nahezu unbezahlbarer Luxus. Eine Waschmaschine, bei der man nicht selber kurbeln musste, gab es dagegen seines Wissens noch nicht. Leider war Felipe kein geborener Bastler, und es mangelte ihm auch oft an technischem Spezialwissen, andernfalls hätte er sich selber an der Erfindung solcher Haushaltsgeräte versucht. So aber blieben ihm nur seine überbordende Phantasie und die Hoffnung, dass es all diese Apparate bald auch für Normalverdiener geben möge – damit Neusa endlich mit ihrem Gejammer aufhörte und er selber auch in sehr heißen Nächten wieder durchschlafen konnte.
Das Sambagetrommel auf der Straße riss ihn aus seinen Gedanken. Es waren herrlich rhythmische Klänge, und Felipe konnte die Begeisterung der Leute dafür gut nachvollziehen. Er selber hatte jedes Mal den Drang, mit den Hüften zu wackeln, wenn er die Trommeln hörte – wie mochte es da erst jenen ergehen, die von Natur aus mit einem größeren Bewegungsdrang oder mit mehr Tanzlust gesegnet waren als er? Er stand vom Schreibtisch auf, ging zum Fenster und schob die Gardinen beiseite. Eine ganze Horde junger Leute tanzte um ein klappriges Automobil herum, das bunt geschmückt war und in dem sich neben dem Fahrer zwei junge Burschen befanden, die durch ein Megaphon ein eingängiges Lied sangen, sowie eine junge Frau, die dazu tanzte. Dort hätte Bel stehen müssen, fuhr es ihm durch den Kopf, und einen Wimpernschlag lang verstand er seine Tochter und ihren Wunsch, sich so zur Schau zu stellen.
Er schloss die Vorhänge wieder und erwischte sich dabei, wie er das Lied mitsummte und mit dem Kopf im Takt wackelte. In diesem Augenblick betrat Neusa sein Arbeitszimmer, wie immer, ohne zuvor anzuklopfen.
»Soso …«
»Was soll das nun wieder heißen?«
»Vergiss es. Ich wollte nur sagen: Das Essen ist fertig.«
»Komme schon.«
Neusa ging schnell zum Esszimmer zurück. Der Anblick ihres Mannes, der mit wehmütigem Gesichtsausdruck den Auflauf auf der Straße verfolgt hatte, war ihr durch Mark und Bein gegangen. Warum gelang es ihnen nicht, aufrichtig miteinander zu reden? Sie selber betrauerte doch genauso wie er den Verlust ihrer Jugend, ihrer Freiheit und ihrer Ausgelassenheit. Es wäre nur halb so tragisch gewesen, wenn sie diese Erfahrung hätten teilen können. Doch aus unerklärlichen Gründen stritten sie sich jedes Mal, verletzten einander und machten alles nur noch schlimmer. Warum konnten sie nicht, wie viele andere Ehepaare auch, in Harmonie das gemeinsame Älterwerden genießen? Was sprach denn dagegen, dass sie tanzten und zusammen ausgingen, dass sie ihr Leben genossen? Wieso gelang es ihnen nicht, sich über die überwundenen Hürden zu freuen, über die gemeinsam bestandenen Prüfungen der Vergangenheit zu lachen und die noch vor ihnen liegenden Schwierigkeiten mit Optimismus anzugehen? Stattdessen machten sie einander das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon war, indem sie sich angifteten, wo es nur ging. Sie hielt es kaum noch aus. Ihr Zuhause war die Hölle geworden. Und insgeheim beneidete sie Bel, die einfach ihre Siebensachen gepackt hatte und gegangen war.
Bel ertrug es kaum noch. Der Karneval rückte unaufhaltsam näher, und sie stand Tag für Tag in einer düsteren Halle und fegte den Boden, wobei sie mehr Kakerlaken aufschreckte, als ihr lieb war. Sie hätte tanzen sollen! Singen! Die Männer verrückt machen! Stattdessen musste sie den unvorstellbar schlechten Schauspielversuchen der Hauptdarsteller zusehen und zuhören, Stümper allesamt, die ihr mangelndes Können mit Arroganz auszugleichen glaubten und alle Anwesenden am Set mit ihren Launen terrorisierten. Der männliche Protagonist war ein attraktiver Mittdreißiger mit dem Künstlernamen Octávio Osório, der Bel herumscheuchte, als sei sie nicht nur im Film, sondern auch im echten Leben seine
empregada doméstica,
seine Hausangestellte. Bel hoffte, dass der Tonfilm, über den sie schon viel hatte munkeln hören, nicht mehr lange auf sich warten ließ, denn dann wäre es schlagartig vorbei mit der Karriere dieses eingebildeten Dummkopfs: Seine Stimme war kaum kraftvoller und maskuliner als die eines Mäuserichs.
Die weibliche Hauptrolle war ähnlich miserabel besetzt. Zugegeben, die Schauspielerin war sehr schön und ihr
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