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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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niemand zu bemerken, dass die
empregada
ihren Dienst am Besen nicht vorschriftsmäßig versah. Die Hauptdarsteller waren mit sich selbst beschäftigt – der Mäuserich vor allem damit, die Nadel des Grammophons auf Bels Platte donnern zu lassen. Und dann hörte sie sie, die wunderbaren Rhythmen ihrer Lieblingsmusik.
    Der weibliche Star hatte offenbar noch gar nicht gemerkt, dass kein Charleston gespielt wurde, denn sie hüpfte unverdrossen weiter, was im Grunde sehr professionell war. Der fertige Film würde in den Filmtheatern von Pianomusik begleitet werden – welche Musik hier beim Dreh lief oder was gesprochen wurde, würde kein Zuschauer je hören. Octávio gesellte sich zu ihr, nahm ihre Hand und begann ebenfalls, sich zu bewegen, wobei er wenigstens den Anstand hatte, leicht pikiert dreinzuschauen, weil die Musik nicht zu dem Tanz passte. Oder umgekehrt. Dass hinter ihnen etwas geschah, was das Drehbuch so nicht vorsah, merkten sie erst, als das Geraune der anderen Leute – Kameramann und Regisseur, Laufbursche und Lichttechniker, Requisiteur und Maskenbildnerin – überhandnahm.
    »Weiterfilmen!«, befahl der Regisseur und beobachtete verwundert, aber auch amüsiert, was sich diese Statistin herausnahm. Es war auch für ihn eine willkommene Ablenkung von der täglichen Quälerei mit den beiden Hauptakteuren. Obwohl er unter starkem Zeitdruck stand, fand er, dass ein paar Minuten mehr niemandem schaden konnten.
    Bel war hinter dem Sofa hervorgetreten, das sonst den Vordergrund für ihr nervtötendes Fegen bildete. Auf dem Kopf trug sie einen wahnwitzigen Hut von fast einem halben Meter Höhe, der über und über mit tropischen Früchten bestückt war. Dieses kunstvolle Ungetüm war es, das sie die halbe Nacht auf Trab gehalten hatte. Sie hatte alles, was an Obst aufzutreiben war, in einem flachen Korb aufgestapelt und die Früchte dann mit Zahnstochern und Haarnadeln festgesteckt. Dennoch war es ein sehr fragiles Gebilde, das darüber hinaus ziemlich viel wog. Es verlangte ihr alles an Konzentration ab, ihren Kopfschmuck so zu balancieren, dass er dort blieb, wo er hingehörte. Zwar hatte sie ein Tuch so um ihren Kopf gewickelt, dass der Korb darauf recht stabil stand, doch wenn sie ihren Hals nicht stocksteif machte, würde die ganze Pracht verrutschen und dann in Einzelteilen hinunterkullern.
    All ihr tänzerisches Können musste sie in Füße, Beine, Hüften und Arme legen. Verrückterweise war es ausgerechnet der Besen, der ihr half, das Gleichgewicht zu halten. Während sie mit nackten Füßen – die Schlappen, die zu ihrem Hausmädchenkostüm gehörten, hatte sie abgestreift – die komplizierte und schnelle Schrittfolge des Sambas tanzte, hielt sie den Besen mit beiden Händen umklammert und schwenkte ihn in der Luft mal zur linken, mal zur rechten Seite.
    Sie hörte Pfiffe und Klatschen. Irgendjemand klopfte im Takt auf einen metallenen Gegenstand, jemand anders schlug den Rhythmus auf etwas Hohlem, vielleicht einem leeren Pappkarton. Angespornt durch diese Unterstützung wirbelte Bel immer wilder umher. Sie drehte sich, schwang ihre Hüften und wagte es sogar, den Besen kurz loszulassen, um ihn einen Kreis beschreiben zu lassen, so wie es manche Trommler mit ihren Stöcken machten.
    Sie wusste, dass sie gut war. Besser als je zuvor.
    Ihre kleine Zuschauerschar johlte vor Begeisterung. Bel wurde immer wagemutiger. Sie tänzelte zu den beiden Hauptakteuren, die wie angewurzelt im Szenenbild standen und sie verdutzt anstarrten. Dann warf sie den Besen fort und streckte die Hände nach Octávio aus, als würde sie sich nach ihm verzehren. Sie umkreiste ihn anmutig, auf den Zehenspitzen tanzend und mit einem lockenden Lächeln auf den Lippen. Ihre Hüften zuckten in dem schnellen Rhythmus, den nicht nur die Musik vorgab, sondern den jetzt auch jeder mitschlug, der eines improvisierten Instruments hatte habhaft werden können. Es war eine sehr erotische Darbietung – die jedoch ein abruptes Ende fand, als die schöne Hauptdarstellerin mit erboster Miene zu dem Grammophon ging und die Nadel von der Platte schlug. Das dissonante Kreischen und Kratzen ließ Bel aus ihrer tänzerischen Trance aufschrecken. Der Früchte-Hut fiel ihr vom Kopf, und für einen Augenblick war in dem Saal nichts weiter zu hören als das Rumpeln der Ananas, die über den Boden kullerte. Dann brandete stürmischer Applaus auf.
    »Was bildest du dir ein, Mädchen?«, fragte die Schauspielerin.
    »Weiterfilmen«, flüsterte

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