Unter den Sternen von Rio
der Regisseur dem Kameramann zu.
»Ich fand es eigentlich ganz lustig«, meinte der große Octávio.
Bel schwieg. Erst jetzt kam ihr so recht zu Bewusstsein, was sie da getan hatte. Aber sie hatte jede Sekunde ihres ungebührlichen Auftrittes genossen – wenn man sie jetzt feuern sollte, wäre es ihr auch egal. Spontan schlüpfte sie wieder in die Rolle der
empregada.
Mit hängenden Schultern und zerknirschtem Gesicht murmelte sie: »Es tut mir leid, Sinhá Dona Iolanda. Es ist so über mich gekommen. Wir Neger haben das im Blut.« Dann grinste sie spöttisch, knickste und lief aus dem Bild.
Auch Iolanda, die schöne Mimin, hatte nun genug. Sollten sie sich doch eine andere Schauspielerin holen, diese Witzblattfiguren. Nicht mit ihr! Sie hatte es nicht nötig, von einer frechen Statistin erniedrigt zu werden.
»Du kannst deinen blöden Charleston allein weitertanzen«, zischte sie Octávio zu und schritt energisch aus, um den Set zu verlassen. Dabei übersah sie eine Papaya auf dem Boden, die beim Hinunterfallen aufgeplatzt war. Man hörte ein saftiges Schmatzen – und dann den dumpfen Aufschlag von Iolandas Hinterteil auf der Erde.
»Und Schnitt!«, rief der Regisseur in den allgemeinen Jubel hinein.
Die durch Zufall entstandene Szene sollte später der Höhepunkt des Filmes werden, der nunmehr zur Komödie umgeschnitten wurde. Sie sollte außerdem einen Wendepunkt in Bels Leben darstellen – wobei es zunächst danach aussah, als würde sich alles nur zum Schlimmeren wenden. Denn sie verlor, wie nicht anders zu erwarten war, ihr Engagement beim Film – man musste ihr fristlos kündigen, um, wie es hieß, nicht weitere Mitarbeiter zu ermutigen, ihren exhibitionistischen Neigungen nachzugeben. Sie zerstritt sich daraufhin mit Beatriz, die fest mit der Miete gerechnet hatte, die Bel nun nicht mehr aufbringen konnte. Bei ihrer überstürzten Flucht aus der Wohnung stolperte sie dann auch noch so unglücklich, dass sie sich eine Zerrung am Fuß zuzog. Damit war der diesjährige Karneval, glaubte Bel, für sie gelaufen.
Verbittert humpelte sie in ein nahe gelegenes »Hotel«, das diesen Namen nicht verdiente, handelte es sich doch um eine wanzenverseuchte Absteige allerunterster Kategorie. Das Geld für die erste Nacht konnte Bel noch aufbringen. Danach würde sie weitersehen.
Dass die Wirtin in den nächsten Tagen nicht prompt ihr Geld einforderte, wunderte Bel ein bisschen. Aber allzu lange hielt sie sich mit dem Gedanken daran, warum die Frau so vergesslich sein mochte, nicht auf. Sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Bel sich mutlos.
Felipe da Silva war nun doch ein wenig beunruhigt. Würde Bel sich jemals wieder aus ihrem Zimmer herauswagen, das zweifellos ein stickiges, schmuddeliges Kämmerchen war, für das er der dreisten Wirtin viel zu viel bezahlt hatte? Was war los mit seiner Tochter, dass sie freiwillig in diesem Dreckloch blieb, anstatt heimzukommen? Sie musste doch wissen, dass sie, ganz gleich, was auch geschehen sein mochte, zu Hause immer willkommen war, dass man sie dort immer vorbehaltlos lieben würde. Andererseits, sagte er sich, war ihm unbändiger Stolz aus seiner eigenen Jugend wohlbekannt. Bel würde wahrscheinlich erst wieder zu ihnen zurückkehren, wenn sie einen Erfolg zu verzeichnen hätte, so dürftig dieser auch war. Sie wollte triumphierend auftauchen, nicht gesenkten Hauptes. Also schön: Er würde sich das Ganze noch einen Monat lang ansehen. Wenn sie sich bis dahin nicht wieder berappelt hätte, würde er sie heimbringen.
Bel suhlte sich tagelang in ihrem Selbstmitleid. Ihr Auftritt war grandios gewesen. Sie hatte das unfreiwillige Publikum begeistert, wie es dem großen Octávio und der schönen Iolanda in hundert Jahren nicht gelingen würde. Was wollte man mehr? Warum hatten sie sie nicht zum Star des Films gemacht, sondern sie ohne viel Federlesens vor die Tür befördert? Es hätte nur noch ein Tritt in den Allerwertesten gefehlt, um ihre Schmach vollkommen zu machen. Wobei, gestand Bel sich schmunzelnd ein, der unelegante Sturz Iolandas ja auch eine Art von Belohnung gewesen war. Ha, die unnahbare Aktrice, wie sie da mit verdattertem Gesichtsausdruck und mit orangefarbenem Fruchtfleisch an den Schuhen auf ihrem knochigen Po gesessen hatte – herrlich! Ach, aber davon konnte sie sich auch nichts kaufen, geschweige denn Miete zahlen. Und wie sollte sie nun, mit dem blöden Humpelfuß, der dick
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