Unter den Sternen von Rio
von Alice, ihn dem Schein nach ehelichen zu wollen. Er hätte sich gar nicht darauf einlassen sollen. Andererseits hatte auch Alice ihm schon einmal aus einer Klemme geholfen, vor vielen Jahren, und er war ihr den Gefallen schuldig gewesen. Sie hatte damals hoch und heilig geschworen, er sei bei ihr zu Besuch gewesen, und ihn damit vor einer empfindlichen Strafe bewahrt. Denn tatsächlich war er an einem Ort gewesen, an dem er nicht hätte sein dürfen, und hatte etwas getan, was er nicht hätte tun dürfen. Bei der Erinnerung lachte er leise in sich hinein. Himmel noch mal, hatte er ein Glück gehabt! Er war, gerade 17-jährig, den privaten Unterrichtsstunden bei
professor
Rubínio ferngeblieben und hatte sich stattdessen selber in Technik und Aerodynamik unterrichtet – beim Sprung vom Dach eines Hauses, das acht Stockwerke hoch war. Er hatte dazu einen selbst entwickelten Apparat verwendet, ein Zwischending aus Ballon und Drachen, das natürlich nicht ganz so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hatte. Einzig ein Mauervorsprung in der fünften Etage hatte ihn gerettet, und den hatte er auch nur deshalb erreicht, weil er durch den starken Seitenwind vom vorgesehenen Kurs – senkrecht nach unten – abgetrieben war. Ohne Alices Alibi wäre er nicht nur windelweich geprügelt, sondern auch auf ein Internat geschickt worden. Insofern war seine heutige Hilfe das mindeste, was er für sie hatte tun können.
Er goss sich seinen dritten Cognac ein. Allmählich zeigte der Weinbrand Wirkung, António fühlte sich leicht benebelt. Mit dem Schwenker in der Hand strich er weiter durch die Wohnung, bis er vor der Anrichte stehen blieb, auf der er das gerahmte Foto von Caro aufgestellt hatte. Wie trügerisch so eine Momentaufnahme doch sein konnte! Eine schöne Frau, strahlend vor Glück, in einer außergewöhnlichen Pose und Situation – auf Papier gebannt für die Ewigkeit. Und doch war es nur wie ein kurzer, süßer Traum gewesen, aus dem er wenig später unsanft herausgerissen worden war. Glück hatte er ihm keines gebracht, dieser wunderbare Ausflug. Vielleicht sollte er das Bild, das ihm die Erfüllung eines unerfüllbaren Wunsches vorgaukelte, vernichten. Für seine seelische Gesundheit wäre dies zweifellos das Beste. Dennoch scheute er davor zurück. Es wäre schlichtweg eine Sünde, ein so gelungenes Foto wegzuwerfen. Und wenn er es Henrique gab, damit wenigstens der sich daran ergötzte? Nein, ausgeschlossen. Das würde nur wieder für weitere Komplikationen sorgen, auf die António absolut keine Lust hatte. Also doch: fort damit.
Er fummelte gerade an der Rückseite des Rahmens herum, um das Foto daraus zu lösen, als es an der Tür klingelte. Er legte den Rahmen mit der Vorderseite nach unten auf der Anrichte ab und ging zur Tür. Wer das wohl sein mochte? Er hatte dem Portier strikte Anweisung gegeben, niemanden zu ihm hinaufzulassen. Ein Notfall? Er lugte durch das Guckloch in der Wohnungstür und traute seinen Augen nicht recht. Caro? War er schon so betrunken, dass er in dem ungebetenen Besucher jemand anders sah? Aber nein. Sie war es. Er öffnete.
»Nanu?«, begrüßte er sie.
»Tja«, kam es zurück.
Ein Dialog aus drei Silben – und doch war damit so vieles gesagt. António lächelte breit, ließ sie ein und nahm ihr den Schirm ab. Dann führte er sie in den Salon und bot ihr einen Platz auf dem Sofa an.
»Möchtest du auch einen Cognac?«, fragte er sie, während er bereits die Flasche öffnete.
»Gern, danke.« Caro hatte auf einmal all ihr Mut verlassen. Es war so einfach gewesen, vor ihrer Mutter und vor der quälenden Langeweile in Gegenwart von Marie und Maurice fortzulaufen. Und es war ihr vollkommen logisch erschienen, zu António zu fahren und sich endlich Klarheit zu verschaffen über diese Rosen-Geschichte. Jetzt, wo er ihr gegenüberstand, konnte sie nicht mehr nachvollziehen, was sie dazu getrieben hatte herzukommen. Es war ein Fehler gewesen. Es war das Falscheste, was sie überhaupt hatte tun können. Dennoch fühlte sie sich trotz ihrer Nervosität sonderbar zufrieden – und Zufriedenheit war ihr seit Maries Ankunft nicht mehr vergönnt gewesen, ach, eigentlich schon seit dem Flug mit António nicht mehr.
Sie nahm das Glas entgegen, das er ihr reichte, und kostete einen winzigen Schluck. Es war ein sehr guter, alter Cognac. Sie umfasste das Glas mit beiden Händen und ließ die goldene Flüssigkeit darin kreisen, froh, dass dieses faszinierende Schauspiel ihrem Blick
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