Unter den Sternen von Rio
einzige Frau zu sein, die in den Genuss von Antónios ausgefallenem Werben kam, das war ganz nach ihrem Geschmack. Es verlieh ihr und ihrem langweiligen kleinen Leben einen Hauch von Extravaganz, es verlieh ihm einen Glanz, den es in ihren Augen nicht hatte. Es erhob sie in den Rang einer mondänen Diva, einer Muse, einer heidnischen Göttin, die Anbetung erfuhr. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.
»Ah«, kommentierte António ihre Miene, »es muss sich um eine nette Geschichte handeln. Wirst du sie mir erzählen?«
Das tat sie. Sie berichtete ausführlich über Sofia Soares Pessoa und ihren lächerlichen, überbordenden Stolz darauf, dass ein heimlicher Verehrer Rosen auf sie regnen ließ. Dieses Mädchen rannte in der Gegend herum und sprach über nichts anderes als sich selber und warum sich der Rosenkavalier zwingend für sie als Empfängerin seiner Aufmerksamkeiten hatte entscheiden müssen.
António lauschte Caros Schilderung ebenso andächtig wie ungläubig. Als sie damit schloss, brach er in ein so ansteckendes Lachen aus, dass Caro mit einfiel. Plötzlich war ihr, als habe sich ein Knoten in ihrem Innern gelöst, denn nun war ihr Rededrang plötzlich nicht mehr aufzuhalten. Sie erzählte von Marie und Maurice, und sie tat dies auf so anschauliche Weise, dass ihr Gegenüber sich ein paarmal fast verschluckte vor Lachen. Es sprudelte nur so aus ihr heraus, all die kleinen Ärgernisse der letzten Tage, die harmlosen Probleme, die unbedeutenden Sticheleien, die sich in ihrer Gesamtheit zu einem Berg von Wut und Hass angehäuft hatten. »Ich will nur noch, dass der Karneval bald vorbei ist und die beiden endlich aus Rio abhauen«, gestand sie ihm. »Und wenn dieser grässliche Regen nicht bald aufhört, garantiere ich nicht mehr für mich. Ich könnte jemanden ermorden.«
»Ja, ich auch. Übrigens ist die Zahl der Gewaltverbrechen und auch der Morde drastisch gestiegen in den letzten Wochen, wusstest du das? Die Leute bleiben mehr zu Hause und gehen einander auf die Nerven. Nicht jeder hat sich so gut im Griff wie wir.«
»Und nicht jeder hat so geräumige Behausungen wie wir. Ich glaube, wenn ich in einer kleinen Hütte leben würde und Marie und Maurice hätten sich dort einquartiert, hätte ich sie schon längst stranguliert, erdolcht, vergiftet oder …«
»Enthauptet«, ergänzte António grinsend.
»Ertränkt«, kicherte Caro.
»In einen Abgrund gestoßen«, prustete er.
»Raubtieren zum Fraße vorgeworfen«, grunzte sie.
»Aus einem Flugzeug geworfen«, grölte er.
»Nein, das würde ich ihnen nicht gönnen, dass sie vor ihrem Ableben noch ein so unbeschreibliches Glückserlebnis haben«, meinte Caro und hatte Mühe, ernst zu bleiben.
»Ehrlich?«
»Was, ehrlich?«
Sie sahen einander durchdringend an. Das alberne Gelächter hatte abrupt geendet.
»War es ein ›unbeschreibliches Glückserlebnis‹ für dich?«
Oh ja, António, dachte sie, schwieg aber.
»Welcher Teil genau davon?«, fragte er weiter und setzte sich dicht neben sie auf das Sofa.
Caro wusste nicht, was sie sagen sollte. Es wäre in jedem Fall entweder falsch oder gelogen gewesen. Denn dass sie ihm gestand, wie sehr sie seinen Kuss genossen hatte, das kam nicht in Frage. Schweigen erschien ihr weiterhin als die klügste Lösung.
»War es der Moment, als wir abgehoben sind? Oder der, in dem du das Steuer übernommen hast? War es vielleicht, verzeih mir meine Anmaßung, sogar der Kuss, der dir so gefallen hat?«, forschte er leise, aber eindringlich weiter. Er legte seinen Arm um sie.
Caro ließ ihn gewähren. Mehr als das: Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und signalisierte damit gewiss nicht Ablehnung, wie sie es hätte tun müssen. Ihre Gesichter befanden sich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie sah das Funkeln in seinen Augen. Tief atmete sie seinen köstlichen maskulinen Duft ein. Unmerklich verringerte sich die Distanz zwischen ihnen. Spürte sie bereits seine Haut an ihrer? Oder war es nur die feine, magnetisch aufgeladene Luft, die wie ein Film zwischen ihren Wangen lag und sie kitzelte? Ja, Magnetismus, das musste es sein. Wie sonst konnte es passieren, dass sie sich so zu diesem Mann hingezogen fühlte, dass sie in seiner Gegenwart Dinge tat, die jeder Vernunft widersprachen, und dass sie sich dabei fühlte, als sei alles ganz genau richtig?
Als ihre Münder sich fanden, schmiegte Caro sich an Antónios Brust. Auch ihre Körper passten so gut zueinander, dachte sie. Seine breiten Schultern waren
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