Unter den Sternen von Rio
spärlicher Bekleidung gesehen.«
»Ach, dann ist dieser Augusto wohl dein … Verehrer?« Jesusundmaria, dachte Felipe, musste seine Tochter ausgerechnet an einen Schläger geraten? Er kannte zahlreiche Fälle von Frauen, die regelmäßig verprügelt wurden und die auch noch freiwillig bei ihren schrecklichen Männern blieben. Er betete inständig, dass Bel klüger wäre und diesen Kerl bald verließ.
»Ja, man könnte ihn wahrscheinlich sogar als Verehrer bezeichnen – wobei ich seine Gefühle nicht erwidere. Eigentlich ist er tatsächlich nicht mehr als ein Kollege. Das ist ganz normal beim Film, dass die anderen einen auch mal in Unterwäsche sehen.«
»Das hängst doch gewiss ganz von dem Film ab«, meinte Felipe in oberlehrerhaftem Ton. »Und in dieser Sorte Film will ich dich nicht sehen. Am besten kommst du jetzt mit nach Hause, bevor du noch tiefer sinkst. Sieh dich doch an. Hockst hier halbnackt und mit zerschundener Visage …«
»Ach, das war doch nur Celestina. Du solltest sie erst mal sehen«, kicherte Bel.
Ein Lächeln huschte über Felipes Gesicht. Na schön, wenn sie sich schon prügelte wie ein Mädchen aus der Gosse, dann war es immerhin gut, wenn sie gewann.
»Ich bin nicht tief gesunken«, fuhr Bel fort. »Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe die Chance meines Lebens bekommen und habe sie ergriffen. Stell dir nur vor,
pai,
Senhor Pereira macht aus mir einen Radiostar! Eine Platte haben wir auch schon aufgenommen – mit dem Samba, den wir beim Karneval vortragen. Ach, es könnte alles so herrlich sein – wenn ich nicht diesen blöden dicken Fuß hätte und nun auch noch die ›zerschundene Visage‹. Ein Schneidezahn wackelt, ich hoffe, er wächst wieder fest an.«
»Oh Bel«, hauchte Felipe, dessen Herz plötzlich von väterlicher Zärtlichkeit überflutet wurde. Am liebsten hätte er sein kleines Mädchen fest an sich gedrückt und ihre Schmerzen einfach weggepustet, so wie er es getan hatte, als sie ein Kind war.
»Bitte,
papai,
auch wenn es nicht danach aussieht: Du musst mir glauben, dass es mir gutgeht. Und ich bitte dich inständig,
mamãe
nichts zu verraten. Sie bringt es fertig und sperrt mich bis Aschermittwoch ein. Wenn du ihr unbedingt etwas erzählen willst, dann spar dir das für nach dem Karneval auf. Bitte!« Automatisch hatte Bel wieder die kindliche Anrede »papai« benutzt, genauso wie sie auch in denselben bettelnden Ton verfallen war, der früher immer funktioniert hatte. Und es wirkte. Der Blick ihres Vaters wurde noch weicher, als er ohnehin schon war.
»Na schön«, sagte er, als ein lautes Poltern ihn innehalten ließ.
Es klopfte, dann ging auch schon die Tür auf, ohne dass Bel den Besucher hereingebeten hätte. »Hier sind die Piepen vom
patrão
«, kam Augusto ohne Umschweife zur Sache. »Und hier bringe ich dir noch … oh, störe ich?«
»Nein, tust du nicht. Komm näher«, winkte Bel ihn herein, bevor sie sich wieder ihrem Vater zuwandte. »Das«, stellte sie den Burschen vor, »ist der berühmte Senhor Augusto.« Sie zwinkerte ihrem Vater zu – das anfängliche Missverständnis war vergeben und vergessen. »Und das«, fuhr sie in Richtung Augustos fort, »ist mein Vater, der
excelentíssimo
Senhor Felipe da Silva.«
Der Junge reichte dem Älteren die Hand. »Sehr erfreut, Seu Felipe.«
»Ganz meinerseits, Augusto.« Felipe mochte den Burschen auf Anhieb. Er hatte einen angenehm festen, aber nicht allzu forschen Händedruck, und er lächelte ihn aus einem offenen, freundlichen Gesicht an. Vielleicht war seine Bel ja doch nicht in gar zu schlechte Gesellschaft geraten. Wenn sie sich nur etwas anziehen würde! Sie konnte doch nicht weiterhin in Wäsche hier herumsitzen und Hof halten.
»Also, ähm, ich fasse mich auch kurz«, sagte Augusto zu Bel. »Hier habe ich dir ein paar Salben und Kompressen von meiner Zimmerwirtin mitgebracht. Sie ist besser als jeder Arzt, glaub mir. Schon übermorgen wird dein Gesicht wieder wie neu aussehen.«
»Danke, Augusto.«
»Und was Essbares habe ich dir auch mitgebracht, ebenfalls von Tia Maria. Ich dachte mir, dass du in diesem Zustand vielleicht nicht auf die Straße gehen magst.« Er meinte natürlich ihr entstelltes Gesicht, doch Bel sah an sich hinab und merkte erst jetzt, dass sie noch immer in Leibwäsche auf ihrem Bett saß.
»Ich sollte mir vielleicht mal etwas anziehen«, meinte sie. Sowohl Felipe als auch Augusto sahen verschämt zu Boden, als sie aufstand und sich einen Morgenmantel
Weitere Kostenlose Bücher