Unter den Sternen von Rio
mehr nicht.«
Und nun stand er hier in dieser muffigen Vorortkirche und erklärte, dass er Alice lieben und ehren wolle. Was für eine Farce! Er liebte und ehrte nur eine Frau, doch die verschmähte ihn.
Die Zeremonie, so man sie denn als solche bezeichnen wollte, sah auch den Austausch von Ringen vor. Alice hatte welche besorgt, einfache, schmale Goldringe, die sie ihm zuvor gegeben hatte. Jetzt mussten sie diese Ringe einander an die Finger stecken, ein Vorgang von so hoher Symbolkraft, dass es António schauderte. Aber er spielte mit.
»Sie dürfen die Braut jetzt küssen«, hörte er den Padre sagen.
Alice sah ihn erwartungsvoll an. Wollte sie etwa wirklich geküsst werden? Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? Er drückte seiner Freundin ein Küsschen auf die Wange, um dann den Geistlichen zu fragen: »War es das? Können wir jetzt endlich gehen?«
Sie konnten.
Vor der Kirche stand Antónios Bugatti. Um das elegante Gefährt hatten sich trotz des Regens ein paar Kinder geschart, die neugierig ins Innere lugten. Einen solchen Wagen sah man in dieser Nachbarschaft wohl nicht allzu häufig. António lief vor, um die Tür zu öffnen. Dann folgte ihm Alice, doch trotz ihres erstaunlichen Spurts wurde auch sie pitschnass. Ihre weißen Schuhe – Alice hatte sich doch allen Ernstes weiß gekleidet, wie eine echte Braut – waren voller Schlamm, ihre hübsche Frisur ruiniert. Dennoch strahlte sie ihn an, als sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. António konnte es nicht ertragen. Er streifte sich den Ehering vom Finger und warf ihn aus dem Fenster.
Wenigstens eines der Kinder würde den heutigen Tag als seinen Glückstag empfinden können.
Nachdem er der unerschütterlich gut gelaunten Alice ausgeredet hatte, noch auf den »großen Tag« anzustoßen, und sie vor ihrem Haus abgesetzt hatte, fuhr er heim.
Seine Wohnung wirkte merkwürdig beklemmend auf ihn. Vielleicht lag es daran, dass die freie Sicht auf die Bucht und die Weite des Himmels stark eingeschränkt waren – die reinste Gardine aus Wasserfäden hatte sich vor die Fenster geschoben. Er goss sich einen großzügigen Cognac ein, den er mit zwei großen Schlucken herunterkippte. Er füllte das Glas auf und setzte sich in seinen Lieblingssessel. Zum Lesen war es zu dunkel, stellte er fest. Dieser verfluchte Regen! Am helllichten Nachmittag die Lampen einschalten zu müssen kannte er nur aus den europäischen Wintern.
Er trank auch das zweite Glas schnell aus. Dann stand er wieder auf und ging, von einer unerklärlichen Unruhe getrieben, in seiner Wohnung umher. Im Flur fand er die Post, die seine Zugehfrau dort auf die Konsole gelegt hatte. Er warf einen Blick auf den obersten Umschlag: nichts, was nicht auch noch bis morgen warten könnte. Die anderen Umschläge schaute er sich gar nicht erst an. Es waren immer ähnliche Sendungen, die er erhielt, Einladungen zu wissenschaftlichen Vorträgen, Post von anderen Piloten oder Technikern oder Bettelbriefe von karitativen Einrichtungen. Persönliche Briefe erhielt er, seit immer mehr Leute Telefon hatten, nur noch sehr wenige. Und wer hätte ihm auch schreiben sollen? Seine Familie lebte in Rio, genau wie die meisten seiner neuen Freunde und Bekannten. Sie hatten keinerlei Veranlassung, einander zu schreiben. Post von seinen alten Freunden in Paris kam nur sporadisch, und den letzten Liebesbrief hatte er erhalten, als er zwanzig war. Vor fast zehn Jahren. Plötzlich fühlte António sich sehr einsam.
Er lief weiter rastlos durch seine Wohnung, rückte hier eine Schale zurecht oder schob dort einen Stuhl gerade an den Tisch. Er hatte keine Lust, vor die Tür zu gehen, aber drinnen hielt er es auch nicht aus. Für die Arbeit mangelte es ihm an Konzentration, für müßiges Entspannen, etwa bei einem guten Buch, an innerer Ruhe. Es verlangte ihn nach körperlicher Betätigung, aber was konnte er schon machen? Im Freien mochte er sich bei dem miserablen Wetter nicht aufhalten, sonst hätte er an seinem Wagen herumbasteln oder ihn wenigstens polieren können. Tätigkeiten im Haushalt lagen ihm nicht, zudem war die Wohnung blitzblank geschrubbt. Zu reparieren gab es nichts, und kochen oder backen konnte er nicht. Nicht einmal Entrümpeln kam in Frage, denn da er erst seit kurzem hier wohnte, hatte sich auch noch nichts Überflüssiges ansammeln können.
Er würde sich also sinnlos betrinken, so wie es fast jeder andere Bräutigam am Tag seiner Hochzeit ebenfalls tat. Pah! Was für eine blöde Idee
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