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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Kisten unterschiedlicher Größe, die fein säuberlich beschriftet waren: Kinderkostüme – Dekoration – Damenkostüme – Hüte – Schmuck – Herrenkostüme – Schuhe – Bänder und Schärpen – Perücken – Masken.
    »Das ist ja … ein Fest!«, rief Marie begeistert aus und zerrte die Kiste mit den Damenkostümen heraus. Sie hob den Deckel ab und wich zunächst einen Schritt zurück. Der Muff von Mottenkugeln schlug ihr entgegen. Dann griff sie mit spitzen Fingern nach dem Stück, das obenauf lag, und zog es vorsichtig heraus. »Ich hoffe nur, dass es nicht verschimmelt oder von Ungeziefer befallen ist.«
    Ihre Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Abgesehen von dem schrecklichen Geruch sowie ein paar Knittern waren die Kleidungsstücke in Ordnung. Sie fanden sieben eher konservative Kostüme, mit denen sie sich als Zigeunerin, Rokoko-Dame, Hexe, Burgfräulein, indische Maharani, Schneewittchen und Eisprinzessin hätten verkleiden können. Es waren alles Kleider von Dona Vitória, bemerkte Ana Carolina. Ihre eigenen Kostüme aus den vergangenen Jahren hatte sie selber an anderer Stelle verwahrt, und die von früher lagen sicher in der Kinderkiste. »Mir dürften sie passen, aber dir sind sie vielleicht ein wenig zu klein«, sagte sie mit prüfendem Blick auf Maries Gestalt. Es war keineswegs als Kritik an deren Figur gemeint, sondern nichts weiter als eine sachliche Feststellung: Marie war größer als sie und ihre Mutter. Dennoch reagierte Marie verstimmt. »Ich bin gewiss nicht dicker als Dona Vitória«, sagte sie säuerlich.
    »Nein, bist du auch nicht. Aber einen halben Kopf größer.« Sie wunderte sich nicht zum ersten Mal über Maries Empfindlichkeit, schob den Gedanken dann aber achselzuckend beiseite und zog das letzte Kostüm aus der Kiste.
    »Was soll das denn sein?«, fragte Marie.
    »Keine Ahnung, ich habe es nie zuvor gesehen«, gab Ana Carolina zu. Sie packte es behutsam aus dem Seidenpapier, in das es, wie die anderen Verkleidungen auch, eingewickelt war. Es war ein grünes Kleid, das über und über mit Blättern und kleinen roten Kügelchen bestickt war.
    »Es sieht toll aus«, meinte Marie, »irgendwie pflanzlich. Aber deine Mutter wird sich ja wohl kaum als Strauch verkleidet haben.«
    »Ein Kaffeestrauch!«, rief Ana Carolina aus. »Das muss es sein. Die roten Dinger sollen die Kaffeekirschen darstellen.«
    »Was für Kirschen?«
    »So nennt man die Früchte des Kaffeestrauchs.«
    »Ich dachte immer, die wären dunkelbraun.«
    »Chérie, es ist schockierend, wie wenig du über Brasilien und seine Flora weißt.«
    »Beleidige mich nur immer weiter«, beschwerte Marie sich, sah dabei aber nicht sonderlich beleidigt aus. »Jedenfalls ist das Kleid ein Traum – das nehme ich.«
    »Das nimmst du nicht«, hörten sie plötzlich die Stimme von Dona Vitória.
    Die beiden jungen Frauen zuckten vor Schreck zusammen.
    Wie hatte ihre Mutter sich so lautlos anschleichen können? Ana Carolina fand es erstaunlich, mit welch leichtem Schritt sich ihre Mutter trotz ihres reifen Alters bewegte.
    »Ihr könnt jedes andere Kostüm nehmen, aber nicht den Kaffeestrauch«, wiederholte Dona Vitória. Eine weitere Erklärung gab sie dazu nicht ab, so dass Ana Carolinas und Maries Neugier erst recht erwachte. Was hatte es mit dieser Verkleidung auf sich? Warum hing ihre Mutter so daran?, fragte sich Ana Carolina. Sie war doch bei allen anderen alten Sachen so schnell dabei, wenn es ums Ausmisten ging, und verbat sich Sentimentalitäten jeder Art. Sie würde wohl einmal ihren Vater fragen müssen.
    »Natürlich nicht,
tia,
wenn du es nicht möchtest«, sagte Marie, ganz die brave Nichte.
    »Für dich finden wir sowieso eher was bei den Kinderkostümen«, befand Dona Vitória und musterte Marie von Kopf bis Fuß. »Die Jungs waren schon mit 14 so groß wie du, und ein Clownskostüm ist für dieses Planschfest vielleicht besser geeignet als ein echter seidener Sari, das einzige von meinen Kostümen, das dir eventuell passen könnte.«
    »Du hast recht. Ich hatte gar nicht bedacht, dass wir ja nass werden. Da nehmen wir wirklich lieber etwas, ähm, etwas weniger Empfindliches. Aber als Clown gehe ich auf keinen Fall!«
    Ana Carolina und ihre Mutter lachten. »Ach, da finden wir bestimmt auch noch andere Sachen«, meinte Dona Vitória, »ich kann mich an Magier und an Indianer erinnern. Gewiss die bessere Wahl …«
    Jetzt lachten alle drei.
    »Vielleicht denken wir noch einmal über die

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