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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Wirkung des Mondes am eigenen Leib gespürt. Und wie sie die gespürt hatte! Noch heute bekam sie eine Gänsehaut bei der Erinnerung an die Berührungen Antónios, unter denen sie völlig willenlos geworden war.
    Zum Glück kam sie nicht allzu häufig in die Verlegenheit, überhaupt daran zu denken. Es ging zurzeit bei ihnen ziemlich turbulent zu. Ihre Brüder, die in den letzten Tagen durch Abwesenheit geglänzt hatten – wahrscheinlich vor lauter Angst, sich um die Besucher aus Paris kümmern zu müssen –, ließen sich nun, am Karnevalswochenende, endlich dazu herab, etwas mit der Familie zu unternehmen. Da Henrique samstags und sonntags nicht arbeitete, würde er, so war vermutlich ihr Kalkül, die Gäste unter seine Fittiche nehmen. Und genau so war es auch.
    Das Wetter hatte sich ein wenig gebessert. Es war noch immer grau verhangen, aber der Dauerregen hatte aufgehört. Henrique schleppte Marie und Maurice von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten, oft ohne die Begleitung von Ana Carolina, und am Abend waren alle drei so erschöpft, dass sie still am Tisch saßen und Marie und Maurice nicht unangenehm auffielen.
    Ana Carolina war unendlich froh, in Henrique einen so verständigen, pflichtbewussten und zuverlässigen Mann zu haben. Sie wusste nicht, was sie ohne ihn getan hätte. Dadurch, dass er ihr die lästige Aufgabe abnahm, sich um die Besucher zu kümmern, trug er auch entscheidend zur besseren Stimmung im Haus bei. Außerdem hielt er ihr den Rücken frei, so dass sie sich ihren anderen Pflichten widmen konnte. Dazu gehörte zum Beispiel, zusammen mit der Köchin die Mahlzeiten zu planen. Es waren derzeit 13  Personen, die es zu verköstigen galt – darunter zwei überkritische Franzosen und vier verzogene Kinder, denen außer Teigwaren gar nichts zu schmecken schien.
    Beim Frühstück am Karnevalssonntag waren alle Erwachsenen an dem großen Tisch im Esszimmer versammelt, den Kindern hatte man erlaubt, in der Küche zu essen, wo die Köchin sie mit frisch gebackenen Kokosküchlein bei Laune halten würde. Es lag eine freudige, erwartungsvolle Stimmung in der Luft, denn erstmals seit mehr als zehn Tagen ließ sich an diesem Morgen die Sonne blicken. Es hingen weiterhin dicke schwarze Wolken am Himmel, doch die blauen Stellen dazwischen wurden größer, und die Sonnenstrahlen, die hindurchschienen, wärmten die Seele.
    »Der Kinderumzug heute Nachmittag fällt vielleicht doch nicht ins Wasser«, frohlockte Francisca, die Frau von Pedro.
    »Ich hoffe es«, sagte Pedro. »Die Kinder sind unausstehlich, wenn sie nicht ab und zu ins Freie können. Wir hatten uns alle so auf den Strand gefreut …«
    »Apropos Strand: Wenn sich das Wetter hält, könntet ihr auch nach Copacabana fahren. Dort soll dieses Jahr die erste Kostümparty im Wasser stattfinden«, sagte Don León. »Und abends die berühmte Luftschlangenschlacht auf der Avenida Atlântica. Das wäre doch was für die Kinder, nicht wahr?«
    »Ach so? Was ist das denn schon wieder für eine verrückte Idee mit dem Wasserfest?«, fragte Pedro, sein Erstgeborener, kopfschüttelnd. »Ihr Cariocas lasst euch nicht lumpen, wenn es ums Feiern geht, was? Ganz gleich, wie haarsträubend die Veranstaltung ist.«
    »Was heißt hier ›ihr Cariocas‹?«, mischte sich nun Dona Vitória ein. »Hast du vergessen, wo du herkommst? Glaubst du etwa, schon ein echter Paulista geworden zu sein?«
    »Ach,
mãe,
leg doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage«, meinte Pedro. »Eigentlich war es ja als Kompliment für meine Heimatstadt gemeint. Die Paulistas verstehen einfach nicht so zu feiern. Sie haben nur Arbeit und Geldverdienen im Kopf.«
    Wie überaus sympathisch, dachte seine Mutter, behielt es aber wohlweislich für sich. Sie wusste, dass niemand hier am Tisch ihre Einstellung zum Geld teilte.
    Pedro wandte sich seiner Frau zu und fragte: »Francisca, Schatz, was meinst du? Kinderumzug in der Innenstadt oder diese Albernheiten in Copacabana?«
    »Klingt beides gut. Vielleicht schaffen wir ja auch beides. Erst gehen wir zum Kinderumzug, danach fahren wir an den Strand und werfen Konfetti und Luftschlangen auf fremde Leute.«
    »Uns fragt wohl keiner nach unserer Meinung?«, meldete sich Eduardo zu Wort. Eduardo, der jüngere von Ana Carolinas Brüdern, hatte schon immer unter dem vermeintlichen Makel gelitten, der Zweitgeborene zu sein. In jeder Äußerung vermutete er eine Zurückweisung, und man musste gut aufpassen, was man sagte, damit er es nicht wieder als

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