Unter den Sternen von Rio
seinem kleinen Mädchen eine so selbstbewusste junge Dame hatte werden lassen. An ihm oder gar an Neusa lag es gewiss nicht. Bel war keinem von ihnen beiden ähnlich, weder äußerlich noch vom Wesen her. Sie war so eigen und dabei so außergewöhnlich – schön, talentiert, mutig –, dass Felipe es kaum begreifen konnte. Sein Herz zersprang beinahe vor Liebe.
Nun musste er noch seine Frau davon überzeugen, dass Bel das Richtige tat. Dazu galt es zunächst, sie von Bels Verbleib in Kenntnis zu setzen, und das allein war schon eine enorme Herausforderung. Neusa würde in die Luft gehen, wenn sie erführe, was ihre Tochter so trieb. Er musste es sehr diplomatisch anstellen. Aber Diplomatie war nie seine große Stärke gewesen.
Die Unterredung mit seiner Frau wurde ein Fiasko.
»Ich weiß, wo Bel steckt«, sagte er am Karnevalssonntag. Die Sonne ließ sich endlich einmal blicken, und er hatte gehofft, dies würde Neusa sanftmütig stimmen. Weit gefehlt.
»Und warum hast du sie dann nicht schon zurückgeholt?«, fragte sie.
»Ich glaube, wir sollten sie einfach tun lassen, was sie für richtig hält.«
»Bist du wahnsinnig geworden, Mann?«, keifte sie. »Das Mädchen hat doch keine Ahnung, was es will. Bel will sich nur amüsieren und den Burschen schöne Augen machen. Sonst will sie gar nichts.«
»Ich glaube, du täuschst dich«, wagte Felipe einzuwenden. »Ich habe sie …«
»Was du glaubst, interessiert mich nicht. Ich glaube nicht, ich
weiß.
Ich weiß, dass sie in Schwierigkeiten geraten wird, wenn sie auf sich allein gestellt ist. Und du musst dafür sorgen, dass das nicht länger der Fall ist.«
Felipe schwieg und schaute seine Frau nachdenklich an. Wie hatte er diese Furie nur jemals attraktiv genug finden können, um sich mit ihr einzulassen? Es war ihm ein Rätsel.
»Warum sagst du nichts?«, bellte sie.
Felipe schwieg weiter.
»Was bist du nur für ein Schlappschwanz! Also: Sagst du mir jetzt, wo sie sich versteckt, damit
ich
deine Aufgabe übernehme und sie hierherhole?«
»Nein.« Felipe erschrak selber ein bisschen. Er wusste, was eine solche Weigerung nach sich ziehen würde. Es hatte ihm nie an Mut gemangelt, sich seiner Frau entgegenzustellen. Was er dagegen mehr als alles andere hasste, waren die Gemeinheiten, mit denen Neusa ihn jedes Mal bekriegte, wenn er sich durchzusetzen geglaubt hatte. Beim letzten Streit dieser Art hatte sie ihm wochenlang nichts zu essen vorgesetzt – »wärm dir die Feijoada doch selber auf« – und sein Arbeitszimmer nicht sauber gemacht.
»Bitte? Soll das ein Scherz sein?« Zornig warf Neusa das Geschirrtuch, das sie die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte, auf den Küchentisch.
»Du hast dich ja noch nicht mal danach erkundigt, wie es ihr geht. Spiel dich jetzt also nicht als die liebende Mutter auf, die nur um das Wohlergehen des Kindes besorgt ist. Dir geht es doch um etwas ganz anderes.«
»Ach, und was sollte das wohl sein? Glaubst du, ich reiße mich darum, ein widerspenstiges Gör mehr um mich zu haben, eine Person mehr zu bekochen oder noch mehr Wäsche zu waschen?«
»Dir geht es um Macht. Du willst deine vermeintliche Position der Stärke nutzen, um dem Mädchen zu zeigen, wer das Sagen hat. Und das alles tust du nur, weil du in Wahrheit neidisch auf Bel bist.«
»Macht?!« Neusa spuckte das Wort förmlich aus. »Ha! Wann hätte eine Frau je Macht besessen? Und warum sollte ich neidisch auf meine eigene Tochter sein? Ich würde nicht mit ihr tauschen wollen. Halbnackt tanzen und mich von wollüstigen Kerlen anstarren lassen – nein, das wäre nichts für mich.«
»Es ist ja auch nicht so, als
wollte
dich jemand halbnackt tanzen sehen.« Felipe bereute seine Äußerung sofort. Er war sonst nicht so unsachlich. Er hielt nichts von Polemik, schon gar nicht in einer Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau. Wenn umgekehrt Neusa zu solchen unfairen Mitteln griff, geriet er immer in Rage und verachtete sie für ihre Unfähigkeit, beim Thema zu bleiben. Und nun war ihm selber eine solche Kritik herausgerutscht, die eindeutig unter die Gürtellinie zielte.
Neusa war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Ihr Kinn zitterte, ihre Lippen waren zusammengekniffen, und sie schluckte unaufhörlich. Das hatte Felipe nicht gewollt. Der Anblick seiner gekränkten Frau irritierte ihn, denn es geschah nicht oft, dass sie ihre Gefühle zeigte.
»Es tut mir leid«, sagte er, doch es war zu spät. Neusa war bereits aus der Küche gestürmt,
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