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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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»Ja, geht klar«, sagte einer von ihnen, bevor sie sich wieder zu den anderen gesellten und Bel der Frau überließen, die ihr den Früchte-Hut aufsetzte.
    Dass zwei Männer in ihrer unmittelbaren Nähe standen, dachte Bel, hätte ebenfalls den Vorteil, dass sie sich an ihnen festhalten konnte, sollte sie den Halt verlieren. Sich auf einer fahrenden Bühne zu bewegen war nämlich, selbst wenn das Fahrzeug nur im Schneckentempo rollte, eine große Herausforderung an den Gleichgewichtssinn. Bel wusste nicht, ob sie sicheren Stand haben würde, wenn sie einen Fuß so gut wie vollständig entlastete.
    Kaum dass ihr Kopfschmuck befestigt war und alle Helfer, die nicht selber auftraten, von der Ladefläche abgesprungen waren, ging es los. In dem Augenblick, da die vertraute Melodie erklang, die sie in den vergangenen Tagen unzählige Male geübt hatten, war alles andere um sie herum vergessen. Der Wagen fuhr an, die Umstehenden jubelten, und Bel tauchte in eine Welt ein, die nur noch aus Musik und Bewegung bestand. Es war wie eine Droge, die sie alle Schmerzen vergessen ließ, die sie in eine Trance versetzte, in der außer dem Samba nichts von Belang war.
    Je näher sie dem Zentrum der Festivitäten kamen, desto lauter wurde der Applaus und desto mehr Anfeuerungsrufe waren zu hören. Auch die Presse war erschienen, mehrere Fotografen schossen Fotos. Die gleißenden Blitzlichter störten Bel nicht im Geringsten, sie spornten sie im Gegenteil nur noch zu weiteren koketten Gesten an. Denn um davon abzulenken, dass sie sich nicht wirklich so bewegte, wie man es von einer professionellen Tänzerin erwarten durfte, hatte sie sich spontan ein paar Tricks ausgedacht. So hatte sie ihren schlimmen Fuß auf den Rand eines Holzkübels gestellt, der allerlei Äste und Blattwerk enthielt, und ihr Kleid frivol über das Knie gezogen. Ein genialer Einfall! Niemand sah ihren angeschwollenen Fuß inmitten des Grünzeugs, sie selber atmete auf, weil die Schmerzen nachließen, und verführerisch sah es obendrein aus. Bel war stolz auf sich und ihre Findigkeit. Sie wippte mit dem entblößten Knie im Takt, während sie mit den Armen um die Musiker strich. Dem einen tätschelte sie die Wange, den anderen zog sie an seiner Krawatte zu sich heran, dann wieder stieß sie den ersten in gespielter Abwehr von sich fort, während sie den zweiten mit angedeuteten Küssen umgarnte. Was ihre Beine wegen der Verletzung nicht zu leisten vermochten, machte sie mit ihren Gesten und dem Mienenspiel mehr als wett. Sie rollte mit den Augen, warf Küsschen ins Publikum, strahlte über das ganze Gesicht und bot insgesamt einen so hinreißenden Anblick, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, es hätte sich nicht um einen perfekt getanzten – und gesungenen – Samba gehandelt. Denn ihre Stimme hatte bei dem unglücklichen Sturz ja keinen Schaden genommen. Sie klang sogar noch voller als sonst.
    Nur die Musiker wunderten sich über die abgewandelte Show, doch sie spielten mit, sei es aus Spaß am Improvisieren, sei es aus berufsmäßiger Kaltblütigkeit.
     
    Unter den Zuschauern befanden sich auch Bels Eltern. Felipe war es nach langem Zureden endlich gelungen, Neusa davon zu überzeugen, dass sie es ihrer Tochter schuldig waren, zu erscheinen. Seine heimliche Befürchtung, Bel
benötige
vielleicht ihren Applaus, erwies sich jedoch als unbegründet. Sie war ja kein Kind, das bei einer Schulaufführung einzig von seinen Eltern als talentiert wahrgenommen wurde. Nein, sie war eine grandiose Tänzerin mit einer wunderbaren Stimme. Die Leute jubelten ihr zu – seiner Bel!
    »Findest du nicht, dass sie ein bisschen zu viel Haut zeigt?«, fragte Neusa ihn. Der Wagen war an ihnen vorbeigefahren, ohne dass Bel sie gesehen hatte. Felipe hatte laut gerufen, aber Bel hatte nur in die Menge geblickt und anscheinend keine einzelnen Gesichter erkannt.
    »Nein, ich finde es in Ordnung. Im Karneval darf man das.«
    »Aber sie tanzt ja nicht mal. Sie zeigt nur ihr nacktes Knie. Und schäkert mit den Männern, mit denen auf dem Wagen und mit denen im Publikum. Was soll daran künstlerisch wertvoll sein?«
    Felipe schüttelte den Kopf, als halte er Neusas Meinung für irrelevant. Im Grunde war er selber überrascht gewesen, wie wenig Bel getanzt hatte. Er wusste, dass sie eine richtig gute Sambista war, genau wie er wusste, dass sie ihr Können gern zeigte. Ob es an dem Fuß gelegen hatte? Aber der war doch, wenn man Bel Glauben schenken durfte, schon wieder so gut wie

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