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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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gesund gewesen?
    Neusa gab keine Ruhe. »Findest du nicht, dass sie ein bisschen kränklich aussieht? Bestimmt isst sie nicht richtig. Oder sie raucht Zigaretten. Das finden die jungen Dinger ja schick heutzutage. Also, irgendwie sah sie nicht aus, als ob es ihr wirklich gutgeht.«
    »Das war bestimmt die Aufregung.«
    »Als ob Bel aufgeregt wäre! Die stellt sich vor ein voll besetztes Theater und macht, was sie will. Dieses Kind ist ohne Nerven zur Welt gekommen.«
    Ja, dachte Felipe, da war etwas Wahres dran.
    »Vielleicht liegt es daran, dass sie in letzter Zeit so viel gearbeitet hat.«
    »Das nennst du
Arbeit?
Ein bisschen Fleisch zeigen und mit dem Popo wackeln ist doch keine Arbeit! Hier«, damit streckte sie ihrem Mann ihre Hände entgegen, »so sieht man aus, wenn man hart arbeitet.«
    »Hier«, er zeigte ihr nun seinerseits seine Hände, die im Gegensatz zu ihren nicht schuppig und rauh aussahen. »Willst du behaupten, ich würde nicht hart arbeiten?«
    Ja, dachte Neusa, das wollte sie allerdings behaupten, hütete sich aber, es auszusprechen. Richtige Männer, fleißige Männer, hatten derbe Hände voller Schwielen und nicht so zarte Patschehändchen. Felipe war verweichlicht, körperlich und auch seelisch. Wäre es anders, hätte er Bel ja längst ihre Flausen aus dem Leib geprügelt.
    Die umstehenden Leute gerieten außer Rand und Band, als ein Auto vorbeifuhr, in dem offenbar ihre Freunde saßen. Sie rempelten Neusa an und grölten so laut, dass sie die Diskussion unter den Eheleuten beendeten, da Neusa ihre Streitlust nun an ihnen ausleben konnte. Sie ging auf die armen Feiernden los, als hätten diese mindestens ihr Leben bedroht, und ließ eine Schimpftirade los, die keiner anständigen Frau würdig war.
    Felipe hörte gar nicht hin. Er war in Gedanken bei seiner Tochter und ihrer Karriere. »Bela Bel« nannte sie sich. Wundervoll. Sie wäre im Radio zu hören. Phantastisch. Er würde einmal mit Seu Afonso reden müssen, der konnte ihm bestimmt einen Preisnachlass auf einen dieser modernen und sündhaft teuren Apparate geben. Wenn Neusa erst ihre eigene Tochter im Radio hörte, änderte sie sicher ihre Meinung.
     
    So wenig, wie sie ihre Eltern in der Menge der Schaulustigen erkannt hatte, so wenig waren Bel auch andere Zuschauer aufgefallen. Einmal glaubte sie, Nilton zu sehen, der ihr zuwinkte, ein Stück weiter meinte sie Augusto zu erkennen. Sicher konnte sie sich nicht sein, denn ihr war schwindelig und alles verschwamm vor ihren Augen. Es kam zu viel zusammen: die Anstrengung, der Schmerz im Fuß, die Hitze und der Hunger. Warum hatte sie nur nichts gegessen vor diesem Umzug? Fehlender Appetit war keine Ausrede. Sie hätte sich zwingen sollen, wenigstens ein nahrhaftes Getränk zu sich zu nehmen, eine gezuckerte Avocado-Milch zum Beispiel.
    Eine von Bels großen Stärken war ihr Durchhaltevermögen und ihre Fähigkeit, immer nach vorn zu blicken, optimistisch zu bleiben und aus der Not eine Tugend zu machen. So war es auch diesmal. Sie hatte die Arme um die Taillen der beiden Musiker rechts und links von ihr gelegt, was diese zwar in ihrem Spiel behinderte, Bel dafür aber Halt gab. Sie wäre zweifellos umgefallen, wenn sie diese Stütze nicht gehabt hätte. Auf das Publikum musste es so wirken, als flirte sie mit den Männern. Dass ihre Stimme nicht mehr so volltönend war, verwunderte ebenfalls niemanden. Auf diesem Abschnitt der Paradestrecke waren viele der Teilnehmer schon erschöpft oder heiser.
    Endlich erreichten sie die Straßenecke, die zum offiziellen Ende des Umzugs erklärt worden war und an der ein wüstes Durcheinander herrschte. Alles staute sich. Zwei Wagen waren ineinandergefahren, was ihre aufgedrehten Insassen nicht davon abhielt, ihren Erfolg zu feiern. Andere Wagen waren umringt von den Leuten, die an der Dekoration mitgearbeitet hatten und die nun die gelungene Parade bejubelten. Alle waren wie berauscht von dem schönen Fest, dem guten Wetter, der rhythmischen Musik, den bunten Kostümen. Zwischen den Leuten liefen kleine Jungen herum, die unterwegs reiche Beute gemacht hatten. Die Umzugsteilnehmer selber blieben von den Taschendieben verschont. Auch der eine oder andere Getränkehändler schob seinen Verkaufskarren durch die Menge und machte unter den erschöpften und durstigen Menschen guten Umsatz. Es war ein fröhliches Chaos, in dem niemandem auffiel, dass Bela Bel nirgends zu sehen war. Auch ihre eigenen Leute wunderten sich nicht über ihre Abwesenheit. Sicher

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