Unter den Sternen von Rio
geschlafen zu haben, denn von unten hörte man Stimmen und das Klappern von Geschirr. Frühstück. Allein beim Gedanken daran überfiel sie ein enormer Hunger. Sie warf sich einen Morgenmantel über, fuhr sich schnell mit den Fingern durchs Haar, um halbwegs präsentabel auszusehen, und ging dann ins Esszimmer. Marie und Maurice saßen dort, gesund und munter, und unterhielten die anderen mit den amüsanten Beobachtungen, die sie in der Nacht gemacht hatten.
»Dann drückt mich diese dicke, fette Negerin an ihren ausladenden Busen und sagt … oh,
bom dia,
Ana Carolina.«
»Onkel Maurício kann ja Portugiesisch!«, staunte der kleine Sohn von Pedro und Francisca. Seine Eltern waren anscheinend schon fertig mit Frühstücken, doch er und die anderen Kinder saßen alle noch am Tisch.
»Ja, ein paar Wörter hat er schon gelernt«, erklärte Cecília. Sie hatte die Rolle des Kindermädchens offenbar auch am heutigen Tag übernommen. »Nur an seiner Aussprache muss Onkel Maurício noch ein bisschen arbeiten.« Alle lachten, am lautesten aber Maurice. Er verstand zwar nicht viel, doch wenn sein Name in der portugiesischen Aussprache fiel, klatschte er sich jedes Mal vor Begeisterung auf die Schenkel.
Ana Carolina sah auf die große Standuhr. Schon fast halb eins. Bald würde Henrique kommen und sie zu einem Ausflug an den Strand abholen. Sie wusste nicht, wie sie ihm gegenübertreten sollte, ohne zu erröten. Würde er ihr ansehen, was sie getan hatte? Oder wäre er zumindest misstrauisch? Wenn er erfuhr, dass sie erst im Morgengrauen nach Hause gekommen war, würde er doch bestimmt genauer nachfragen.
Wo wart ihr denn? Ach, wie interessant, und was habt ihr dann gemacht?
»Wieso antwortet
tia
Ana Carolina dem komischen Onkel denn nicht?«, wünschte der kleine Xavier zu wissen.
»Sie ist bestimmt noch müde«, antwortete Cecília.
»Ja, allerdings«, bestätigte Ana Carolina, die nun endlich wieder in der Realität angelangt war. »Reich mir doch mal die Kanne mit dem Kaffee, bitte. Und den Brotkorb.«
Sie schenkte sich einen Kaffee ein und nahm sich zwei Croissants, wovon sie einen mit zwei großen Happen vertilgte.
»Na, und wann bist du nach Hause gekommen?«, fragte Marie.
Ana Carolina verdrehte die Augen. »Nicht vor Cecília und den Kindern«, hätte sie am liebsten geantwortet, denn die durften ruhig weiterhin in dem Glauben bleiben, sie seien alle gemeinsam zurückgekehrt.
»Keine Ahnung. So gegen zwei?« Natürlich war es viel später gewesen.
»Das kann nicht sein, denn etwa um die Zeit sind wir gekommen. Es war übrigens gar nicht so leicht, ohne Schlüssel hier reinzukommen. Aber ich habe an der gleichen Stelle nachgesehen, an der wir in Paris immer den Schlüssel versteckt haben, nämlich in dem schmalen Hohlraum, der sich zwischen Briefkasten und Hausmauer befindet – und siehe da, es befand sich ein Ersatzschlüssel dort.«
»Herzlichen Glückwunsch, du Meisterdetektivin«, sagte Ana Carolina ironisch, bevor sie die Frage abermals zu beantworten versuchte. »Dann war ich vielleicht um halb drei hier? Wirklich, Marie, ich weiß es nicht. António hat mich, kurz nachdem wir euch verloren hatten, gefahren und hier abgesetzt.«
»Soso …«
»Was soll das heißen? Ich habe mir …« Ein Schellen an der Haustür enthob sie des Weiterredens. »Ah, das wird Henrique sein. Ich mache ihm schnell auf.«
»Wofür habt ihr eigentlich Personal?«, erkundigte Maurice sich, aber da war Ana Carolina schon aufgestanden und zur Tür gegangen.
»Was für ein herrlicher Tag, nicht wahr?«, begrüßte Henrique alle, die um den Esstisch versammelt waren. »Seid ihr bereit für ein erfrischendes Bad in den Fluten des Atlantiks?«, wandte er sich an Marie und Maurice. »Ihr könnt doch schwimmen, oder?«
»Selbstverständlich«, sagte Maurice leicht pikiert. Wahrscheinlich wäre er der Erste, der von den manchmal meterhohen Wellen umgeworfen werden würde. Ana Carolina freute sich schon auf den Anblick, wenn er, orientierungslos und die Badekleidung voll Sand, an den Strand getaumelt kam.
»Und, hattet ihr gestern Abend noch Spaß?«, erkundigte Henrique sich weiter. »Habt ihr euch einigermaßen verstanden, du und António? Es tut mir wirklich leid, dass ich nicht mehr mitgekommen bin. Aber ich war so müde, dass ich euch keine gute Gesellschaft gewesen wäre. Wahrscheinlich ging es Antónios Frau genauso, denn sonst wäre sie ja sicher …«
»Wer?«, fragte Ana Carolina scharf.
»Antónios Ehefrau. Na
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