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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wiedersehen und nie mehr von ihm hören. Sie würde die ganze Episode in der hintersten Ecke ihres Gedächtnisses begraben und nicht wieder daran denken. Nur die Lehre, die sie daraus gezogen hatte, wollte sie beherzigen: Sie würde Henrique niemals wieder wegen eines solchen Filous untreu werden.
    Ein spitzer Schrei ließ sie aus ihren düsteren Betrachtungen aufschrecken. Instinktiv trat sie auf das Bremspedal und verhinderte nur knapp einen Auffahrunfall.
    »Himmel, Ana Carolina, beinahe hättest du uns umgebracht!«, schimpfte ihre Mutter.
    »Bitte,
mãe,
reg dich nicht auf. Es ist ja nichts passiert.«
    »Sprich nicht mit mir wie mit einer hysterischen Greisin. Wenn ich mich nicht bemerkbar gemacht hätte, wärst du auf den Vorderwagen aufgefahren.«
    »Ja, ist ja gut. Du hast recht. Ich war in Gedanken.«
    »Hoffentlich nicht bei diesem anonymen Verehrer, der dich mit Episteln bombardiert.«
    Ana Carolina musste den Impuls unterdrücken, scharf zu bremsen und rechts zu halten. Sie setzte eine gleichgültige Miene auf und fuhr in gemäßigtem Tempo weiter. »Natürlich nicht. Aber … woher weißt du überhaupt davon?«
    »Liebes, ich weiß alles, was in unserem Haus vor sich geht.«
    »Wie schön für dich. Das Briefgeheimnis hast du doch wohl nicht verletzt, oder?«
    »Aber nein, wo denkst du hin! Ich hatte immer noch gehofft, dass du mir von dir aus von dieser merkwürdigen Geschichte erzählst. Ist der Schreiber zufällig mit dem Rosenkavalier identisch?«
    »Zufällig ja. Aber es handelt sich wirklich nur um einen Spinner. Ich habe die Briefe ungelesen vernichtet, falls es dich beruhigt. Ich denke, dieser Mensch wird mit dem Unfug aufhören, sobald ich verheiratet bin.«
    »Kenne ich ihn?«
    »Das bezweifle ich. Ich kenne ihn ja selber kaum. Es ist ein entfernter Bekannter von Henrique, der bei meinem Anblick in Liebe zu mir entbrannt ist und sich Hoffnungen macht, solange ich noch ledig bin. Es ist eine blöde Sache, lass uns über etwas anderes reden.«
    »Er scheint ja ziemlich hartnäckig zu sein, dieser ›Spinner‹. Bist du sicher, dass du ihn entschieden genug zurückgewiesen hast?«
    »Mutter, bitte! Ich sagte, lass uns über etwas anderes reden.«
    »Das sagtest du, ja. Aber ich möchte nun einmal gerne über diesen Mann sprechen. Was ist daran so verwerflich? Es geschieht ja nicht alle Tage, dass jemand so vehement um meine Tochter wirbt.«
    »Wenn du möchtest, antworte ich ihm und bitte ihn, in Zukunft dir zu schreiben und bei dir um mich zu werben.«
    »Sarkasmus bringt uns auch nicht weiter.«
    Nun endlich hielt Ana Carolina am Straßenrand. Sie machte den Motor aus, drehte sich zu ihrer Mutter hin und sagte: »Ab hier kannst du allein weiterfahren. Ich ertrage diese Art von Gesprächen nicht.« Dann stieg sie aus und ließ ihre verblüffte Mutter sprachlos zurück.
    Es war nicht mehr weit nach Hause. Den Rest der Strecke konnte auch ihre halbblinde Mutter im Auto bewältigen, und zu Fuß war es ein schöner viertelstündiger Spaziergang. Ana Carolina war gut in Form. Dann fiel ihr plötzlich wieder der Kommentar der Schneiderin zu ihren kräftigen Waden ein, was ihr die Laune vollends verdarb.
     
    »Ist das Wetter nicht herrlich?«, waren Henriques erste Worte, als er sie am Abend besuchen kam. »Ich liebe den Herbst in dieser Stadt.«
    »Es ist doch gar kein richtiger Herbst«, meinte Ana Carolina.
    Sie wusste nicht, warum sie so gallig reagierte. Denn im Grunde liebte auch sie den sogenannten Herbst in Rio. Die Luft war trocken, der Himmel heiter, die Temperaturen lagen meist um die 25  Grad. Es war einfach perfekt. Natürlich verloren die Bäume hier kein Laub wie in Europa, und diesen ganz besonderen Zauber aus roten und gelben Blättern sowie dem würzig-erdigen Duft, der in der Luft lag, kannte man in den Tropen nicht. Dennoch war es eine schöne, freundliche Jahreszeit, in der die Menschen gelassener waren und höflicher miteinander umgingen als in der schwülen Hitze des Sommers, die manch einen aggressiv machte. Nur auf sie selber hatte das angenehmere Klima diesmal keinen positiven Effekt. So wie sie ihre Mutter vor den Kopf gestoßen hatte, so tat sie es auch bei allen anderen Leuten in ihrer Umgebung. Und ihr bevorzugtes Opfer war Henrique.
    »Nein, ein echter Herbst ist es wohl nicht, das stimmt. Aber …«
    »Gib mir doch nicht immer in allem recht«, meckerte sie.
    »Wenn du dich heute nicht wohl fühlst, dann kann ich …«
    Abermals unterbrach sie ihn. »Ich fühle mich

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