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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Kiefernnadel eingelassen war als kleines Ausrufezeichen der Beharrlichkeit.
    Die Kaffeestunde ist beendet; Lotte und ich spüren das. An einer Müdigkeit und Steifheit in den Knochen wie nach langem Fahren, Taubheit in den Gliedern, Mattheit im Kopf. Als ich aufstehe, Teller und Tassen zusammenräume und damit in die Küche gehe, protestiert sie nicht. Sie bleibt sitzen, lauscht meinen Danksagungen und meint, ich könne durch den Garten zum Gartentor gehen. Und dass es schön wäre, uns bald wieder zu treffen. Ich winke ihr von den Stufen aus noch einmal zu, sie ruft mich zurück, beordert mich mit einer Handbewegung in ihre Nähe und zupft auf Hüfthöhe etwas an meiner Jacke fort.
    – Stroh!, sagt sie, einen Anflug von Triumph in der Stimme. Doch ein bisschen Stall an Ihnen.

Fünf
    Meine Wohnung empfängt mich muffig. Als hätte der Ausflug zu Lotte Tage gedauert; ich reiße die Fenster auf, und der Straßenlärm dringt befreiend ein, begleitet von zwei, drei Böen, die das Papier auf meinem Schreibtisch verwirbeln. Nur Vicos Brief, ein dicker Umschlag voller Banknoten, bleibt ungerührt liegen. Ich nehme ihn auf, er ruht in meiner Hand wie ein Kadaverchen, fehlt nur noch, dass er zu atmen beginnt. Organisches Cash, Bares, überwältigend konkret. Horaz, hatte Vico erklärt, wurde vom alten Maecenas gefördert, du von mir. Und hinzugefügt, dass er keine Oden erwarte, überhaupt nichts Bestimmtes erwarte; Lebenskunst allenfalls, Mäzenatentum wäre so etwas wie die Bedingung zur Möglichkeit: diese müsse ich finden und gestalten, für jene sorge er. Er habe ein Gespür für Talente aller Art und sehe es als seine Aufgabe auf Erden (ja, tatsächlich, so drückte er sich aus), ihnen mit seinen bescheidenen Mitteln zum Erfolg zu verhelfen. Schon in der Antike und im Neuen Testament habe dem Talent, was so viel bedeute wie
bestimmtes Gewicht
, eine bestimmte Geldsumme entsprochen, daher käme auch die Redensart
mit seinen Pfunden wuchern
. Dazu – und zu nichts anderem – würde er mich hiermit auffordern. Und welches ist mein Talent?, hatte ich zurückgefragt, und Vico hatte geantwortet: Finde es heraus. Ich wiege es nur aus. Hier ist dein Einsatz zum Glücksspiel. Oder so ähnlich. Und hat nicht Bill Gates zur Spende halber Vermögen aufgerufen?
The giving pledge?
Schon davon gehört? Alles endete mit dem Ausruf
Unsere Währung heißt Vertrauen!
, und mir blieb nichts übrig, als Vico fest zu umarmen und dabei gerührt festzustellen, wie weich und weiblich sein kleiner Bauch sich anschmiegte.
    Ich lege den Umschlag auf den Küchentisch, zur unerledigten Post, die mit einer Klammer zusammengehalten wird, auf der
to do
steht. Schauspiel kann ich bieten, aber Glücksspiel? Ich habe ein Talent zur Maskenbildnerin – ich sehe die Kehrseiten und drehe sie um. Ich nehme dem Schmerz sein m und gebe ihm ein lachendes Gesicht. So wird ein Scherz daraus. Kein Wunder, dass bei solchen Überlegungen der Boden unter den Füßen ein wenig wankt. Ich schaue mich in meinen Räumen um, als müsse ich sie über Blickkontakt in der Vertikalen halten, vor dem Kollaps bewahren. Und werde endlich praktisch: Der Kühlschrank ist leer, Franz wird abends kommen und vor dem Beischlaf eine warme Mahlzeit erwarten. Von Franz habe ich noch nichts erzählt.
    Wir haben uns im Wartezimmer einer neurologischen Arztpraxis kennengelernt und sind uns mit einem gewissen Misstrauen begegnet. Man weiß ja nie, wie verrückt der Nächste ist.
    Ich erinnere mich, dass ich unaufgefordert von den Gründen sprach, die mich in jenes Wartezimmer geführt hatten, ohne Zweifel, um auszuschließen, dass mein gutaussehender Sitznachbar, dessen Augenbrauen wie die Frida Kahlos über der Nasenwurzel zusammengewachsen waren und ihm die Aura eines Weltverächters gaben, mich für neurologisch auffällig hielt.
PNP
, sagte ich also, Polyneuropathie, und erfuhr später, genauer gesagt, als wir das erste Mal im Bett lagen und noch beschleunigt atmeten, aber nicht mehr keuchten, dass er genau diese Auskunft für bedenklich gehalten hatte. Meine Erläuterungen – gestörtes Temperatur- und Berührungsempfinden, kalt wird eisig, warm wird als glühend heiß empfunden, beides als schmerzhaft, genauso der geringste Kontakt – hatten ihn eher bestärkt als entwarnt. Dennoch war es sein Vorschlag gewesen, uns danach im Café Erbshäuser zu regenerieren vom Patientendasein. Bei ihm war es übrigens die Bandscheibe; Lähmungserscheinungen im rechten Arm, Prolaps zwischen C5

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